Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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1. Fastensonntag

Lesung: Gen 2, 7-9

Gott, der Herr, formte den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte.
Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.

 

Evangelium: Mt 13, 1-9

An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees.
Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer.
Und er sprach lange zu ihnen in Form von Gleichnissen. Er sagte: Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen.
Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen sie.
Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte.
Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat.
Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach.
Wer Ohren hat, der höre!

 

Predigt:

Liebe Gemeinde,

der türkische Journalist Can Dündar, der wegen seinen regierungskritischen Äußerungen im Exil in Deutschland lebt, wird von der „Schwäbischen Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 28. Februar 2017 folgendermaßen zitiert:

„Ich bin ein entschiedener Gegner Erdogans; aber ich bin auch ein überzeugter Demokrat und kämpfe für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das sollte auch er  erhalten, obwohl er es anderen nimmt. ….

Die deutsche Regierung sollte ihn reden lassen, aber sie sollte ihm enge Grenzen setzen, damit er nicht, wie sonst, Hass predigt. …

Sollte das Referendum über die Verfassungsreform durchgehen, wäre Erdogan nicht mehr zu stoppen. ….

Seine Erfolge haben ihn vergiftet. Er will jetzt immer mehr, er will jede Opposition zerschlagen. Erdogan fühlt sich von Feinden umzingelt und sieht jede Kritik als Beleidigung, betrachtet sich selbst als eine Art Sultan der Türkei wie im Osmanischen Reich.“
(Schwäbische Zeitung, 28.2.2017; S.5)

Ich selber erlebe den türkischen Staatspräsidenten als einen Mann, der wie ein sturer, aggressiver und tobender Bauer auf seinem Traktor durch die Türkei fährt und gnadenlos alles umpflügt, was seiner Überzeugung nach im türkischen Garten nicht wachsen darf.

Recep Tayyip Erdogan hat eine viel zu klare Vorstellung davon, was in seinem Land „Unkraut“ ist und was zum Leben und zum Blühen kommen darf.

Und deshalb leiden viele Menschen in der Türkei und in Europa – Menschen wie Can Dündar oder Deniz Yücel – weil die Herrschaft Erdogans längst keine demokratische mehr ist.

Nur um seine eigene Macht zu zementieren, lässt Erdogan keine Kritik mehr zu, und die Menschenrechte interessieren ihn wenig.

Kritische Journalisten oder Journalistinnen und Intellektuelle – vor allem Lehrkräfte an den Universitäten und an Schulen – sind für Erdogan wie Unkraut“, wie „Disteln“, die seine Saat am Wachsen hindern.

Deshalb werden diese -  für ihn unbequemen - Leute eingeschüchtert, kalt gestellt, entlassen, mundtot gemacht – und notfalls ohne Anklage ins Gefängnis geschickt:

So geschieht im Augenblick  â€žUnkraut-Vernichtung“ in der Türkei im Sinne Erdogans.

 â€žDie Welt ist voller guter Ideen. Lass sie wachsen.“ -

Menschen wie Erdogan, die davon überzeugt sind, dass nur sie ganz allein wissen, was gute Ideen sind und die nur ihre eigenen Ideen wachsen lassen, werden diese mutmachenden Sätze unserer diesjährigen Predigtreihe in der Fastenzeit und an Ostern gar nicht verstehen wollen.

Mit diesem Predigtthema orientieren wir uns in unserer Seelsorgeeinheit Ravensburg/West am Thema der diesjährigen Misereor-Fastenaktion, und wir erweitern gleichzeitig dieses Thema mit unseren eigenen theologischen und politischen Gedanken.

„Die Welt ist voller guter Ideen. Lass sie wachsen.“

Wie uns Christinnen und Christen das gelingen kann, erzählt uns Jesus  im heutigen Evangeliumstext. Und er tut das – wieder einmal – mit Hilfe einer Geschichte – mit einem Gleichnis:

Die Bibelwissenschaft ist sich einig: Jesus selber hat diese Gleichnisse erzählt,  und die Evangelienschreiber haben sie dann in eine literarische Form gebracht.

Für diese Gleichnisse hat sich Jesus ganz bewusst Bilder aus dem damaligen Alltag der Menschen ausgedacht, damit seine Zuhörerinnen und Zuhörer seine Wahrheit über unseren Gott, die in diesen Gleichnissen verborgen ist, leichter verstehen konnten.

Im heutigen Evangelium wird Jesus und sein Versuch, den Menschen seiner Zeit das anbrechende Reich Gottes zu predigen, verglichen mit einem Sämann und seinem Versuch, durch das Aussäen seiner Samenkörner eine möglichst große Ernte zu bekommen.

Vielleicht ist es Ihnen beim Hören unseres Evangeliums schon aufgefallen:

In diesem Gleichnis steckt ein spannender Gegensatz:

Die Aussaat ist mehrfach bedroht: Durch gefräßige Vögel, durch viele Steine im Acker  -  und durch das Unkraut, die Dornen.

Aber trotzdem wird dem Sämann am Ende eine erstaunliche Ernte geschenkt: „30-fach“, „60-fach“, „100-fach“ – so steht es wörtlich bei Matthäus.

Jesus bringt in dieser Bild-Geschichte seine grenzenlose Zuversicht zum Ausdruck, dass sich die Wahrheit über unseren liebenden und uns Menschen zugewandten Gott am Ende durchsetzen wird – trotz aller Hindernisse und trotz aller schwierigen Situationen.

„Die Welt ist voller guter Ideen. Lass sie wachsen.“ –

unser heutiges Evangelium fordert uns Christinnen und Christen heraus, dass wir uns selber ehrlich die Frage stellen:

Haben wir den Mut, die Gelassenheit und das Gott-Vertrauen, dass wir zuallererst die Ideen unseres Gottes – so wie sie uns Jesus gedeutet hat – in uns selber wachsen lassen?

Oder lebt in uns eher die Idee, dass wir selber am besten wissen, was richtig und falsch ist, was in unserem Leben und im Leben der anderen wachsen soll und was - wie ein Unkraut - sofort im Keim erstickt wird?

Ich bin mir sicher:

All die Menschen, die sich kaum an den Ideen unseres Gottes und nur ganz wenig an den guten Ideen anderer Menschen orientieren können oder wollen, überschätzen sich entweder selber grenzenlos, oder aber sie verstecken hinter diesem egoistischen Machtverhalten eine tiefe innere Angst:

Die Angst, selber klein und unbedeutend zu sein - oder die Angst, nicht mehr alles selber unter Kontrolle zu haben -  oder aber auch die Angst zu verlieren, was mit allen Mitteln erkämpft wurde.

Und dann werden ganz schnell alle anderen guten Ideen, die auch noch in der Welt sind, am Wachsen gehindert und wie Unkraut vernichtet – notfalls mit chemischen Mitteln, also mit Gewalt.

Unser heutiges Evangelium bringt uns Christinnen und Christen auf diese eine wirklich gute Idee:

Wenn wir Menschen tatsächlich begeistert sind von den Ideen des Mannes aus Nazareth und wenn wir tatsächlich in Berührung sein möchten mit unserem Gott, dann müssen wir ganz sicher nicht gegen uns selber wüten, wenn wir Unheiles oder Dorniges in unserer Seele und in unserem Leben entdecken.

Und genauso wenig müssen wir gegen andere Menschen wüten, und ihre guten Ideen bekämpfen – oder gewaltsam diktieren, was sein darf und was nicht.

Es ist ganz im Sinne Jesu, dass wir Christinnen und Christen in seiner Nachfolge ehrlich und realistisch wahrnehmen, dass es in uns selber und in unserer Welt viel Unheiles  und viele Dornen gibt

Es ist aber auch im Sinne Jesu, dass wir trotzdem und gerade deshalb darauf vertrauen, dass unser Gott eine „Welt voller guter Ideen“ geschaffen hat.

Und diese göttlichen Ideen sollen in unserer Welt wachsen und zum Blühen kommen.

Unser Gott hat jedem und jeder von uns in seinem göttlichen Garten ein einziges großes Leben geschenkt:

Wir können dieses eine große Leben damit verbringen, ständig nur entscheiden zu wollen, was richtig und was falsch ist, was wachsen darf und was nicht.  

Oder aber wir gestalten dieses eine große Leben im Sinne Jesu - und wir tun das gemeinsam mit all den Menschen in den anderen Religionen und Kulturen, die - genauso wie wir – die Ideen der Freiheit und der Gerechtigkeit in ihren Köpfen und in ihren Herzen haben.

„Die Welt ist wirklich voller solcher guter Ideen. Also, lasst sie um Himmels willen wachsen!“

 

Liebe Gemeinde,

es ist eine lebenslange Herausforderung und eine große Kunst zu entscheiden, wo wir Christinnen und Christen Hand anlegen müssen, damit unsere Welt nicht überwuchert wird von Dornen, wie „Hass“ oder „Neid“ oder „Gewalt“ – und wo wir neue, unerwartete, vielleicht auch abenteuerliche Ideen einfach wachsen lassen dürfen – ohne Angst und mit großer Gelassenheit und Gott-Vertrauen.

Ich wünsche Ihnen dabei Klugheit, ein feines Gespür und die Zuversicht, dass es der Garten unseres Gottes ist, in dem alle unsere menschlichen Ideen wachsen.

Und in diesem göttlichen Garten – so hat es uns Jesus gedeutet – blüht uns zuallererst das Glück: Wir ernten göttliche Liebe.

Und deshalb meine Idee für Ihre Fastenzeit – jetzt zum Schluss:

Verzichten Sie doch in diesen kommenden Wochen bis Ostern auf all die Ideen in Ihrem Herzen, die Ihnen nicht gut tun.

Und nehmen Sie sich lieber Zeit für die guten Ideen, die es z. B. in der Welt der Musik, der Kunst oder der Bücher gibt.

Ich wünsche Ihnen viele Augenblicke guter Ideen – wo immer Sie diese auch erleben.        

Amen.

 

© A. Böhm, 2017

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.