Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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4. Fastensonntag
Lesung: 1 Kor 1, 22-25
Brüder und Schwestern.
Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit.
Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.
Evangelium: Joh 2, 13-25
Das Paschafest der Juden war nahe, und Jesus zog nach Jerusalem hinauf.
Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen.
Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus, und ihre Tische stieß er um.
Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!
Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.
Da stellten ihn die Juden zur Rede: Welches Zeichen lässt du uns sehen als Beweis, dass du dies tun darfst?
Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.
Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut, und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten?
Er aber meinte den Tempel seines Leibes.
Als er von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.
Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat.
Jesus aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen ist.
Predigt:
Liebe Gemeinde,
dieses Buch hier ist für mich das wertvollste aller theologischen Bücher, die bei mir zuhause in meinen Bücherregalen stehen:
„Autonome Moral und christlicher Glaube“
heißt es, und es ist geschrieben worden von Alfons Auer, dem großen Moraltheologen des letzten Jahrhunderts.
Am 12. Februar diesen Jahres wäre der Oberschwabe und Professor für Moraltheologie in Würzburg und später dann in Tübingen 100 Jahre alt geworden.
In diesem Buch entfaltet Alfons Auer seinen zentralen theologischen Gedanken, dass unsere menschliche Vernunft – und nur sie – konkrete moralische Weisungen oder Vorschriften hervorbringen kann.
Oder anders gesagt:
Nur unsere menschliche Vernunft kann jede und jeden von uns zu einem verantworteten moralischen Denken und Handeln bringen.
Zunächst klingt diese theologische Aussage von Alfons Auer gar nicht so spektakulär:
Was vernünftig ist, das ist auch moralisch in Ordnung!
In dieser Aussage steckt aber der Gedanke, dass wir Christinnen und Christen genauso unserer menschlichen Vernunft verpflichtet sind - wenn es um moralisches Handeln geht - wie die Menschen in den anderen Religionen oder auch wie diejenigen, die an gar keinen Gott glauben.
Alfons Auer weist in seinem Buch nach, dass unser Gott uns glaubende Menschen keine konkreten moralischen Inhalte offenbart – weder im Alten noch im Neuen Testament. Die moralischen Weisungen, die in beiden Büchern stehen, sind auch in anderen Religionen und in früheren Kulturen bezeugt und deshalb nicht ursprünglich christlich.
Wir Christinnen und Christen haben also keine Sonderstellung innerhalb der Weltgemeinschaft, wenn es um konkretes moralisches Handeln geht.
Diese Erkenntnis kann uns, als christliche Religion, einerseits vor religiösem Fanatismus bewahren, andererseits öffnet uns dieses Denken von Alfons Auer alle Türen zu einem Dialog auf Augenhöhe mit den anderen Religionen und mit anderen Weltanschauungen.
Und miteinander stehen wir als Weltgemeinschaft vor der Herausforderung, den Weltfrieden zu sichern und ein für alle verbindliches Weltethos zu formulieren.
Konservative Kirchenmänner allerdings haben Alfons Auer und seine theologischen Gedanken zur „autonomen Moral“ zu seinen Lebzeiten scharf kritisiert.
Er hat sich den Vorwurf anhören müssen, dass in seinem Denken das Christentum seine herausragende Stellung unter den Religionen verliere und dass damit auch die christlichen Weisungen, wenn es um Moral und Sitte geht, nicht mehr wertvoller seien als andere.
Alfons Auer hat sich durch solche Kritik nie einschüchtern lassen.
Und er schreibt unserer christlichen Religion eine dreifache Bedeutung zu, wenn es im Dialog mit anderen Religionen oder mit anderen Weltanschauungen um Moral und Sitte geht.
Das Christentum hat im theologischen Denken von Alfons Auer eine integrierende, eine stimulierende und eine kritisierende Funktion:
Integrierende Funktion bedeutet:
Wir Christinnen und Christen fällen unsere moralischen Entscheidungen immer auch im Blick auf Jesus, der das Anbrechen des Gottes-Reiches hier, auf Erden, verkündet und grenzen-los geliebt hat.
Stimulierende Funktion bedeutet:
Wir Christinnen und Christen orientieren uns an Jesus mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung und mit seiner grenzen-überschreitenden Liebe, und wir hören deshalb nie auf, das moralische Bewusstsein in unserer Gesellschaft weiterzuentwickeln und mitzuprägen.
Und schließlich die kritisierende Funktion unseres Christentums:
Wir Christinnen und Christen orientieren uns an Jesus mit seiner Reich- Gottes-Verkündigung und mit seiner grenzen-überschreitenden Liebe, und korrigieren immer wieder unsere eigenen moralischen Vorstellungen und die in unserer Gesellschaft.
Unsere Aufgabe als Christinnen und Christen ist es also, mit unserer menschlichen Vernunft – und mit unserer Orientierung an der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu - in den unterschiedlichen Situationen unseres Lebens verantwortet moralisch zu handeln.
„Gott und Gold – wieviel ist genug?“ –
wie würden, Sie, liebe Gemeinde, diese Frage jetzt beantworten, wenn Sie die wissenschaftlichen Überlegungen von Alfons Auer dabei im Blick haben? Mir fällt da zunächst eine Gegenfrage ein:
Können wir Menschen überhaupt „genug von Gott“ bekommen“?
Geht das überhaupt, dass uns Menschen Gott „zu viel“ wird?
Wenn in den Medien über die Verbrechen des sogenannten „Islamischen Staates“ berichtet wird, und wenn ich mir dann anhören muss, dass diese Verbrechen ganz ausdrücklich im Namen Allahs begangen werden mit dem Ziel, dass sich die islamische Religion notfalls auch mit brutalster Gewalt in der Welt ausbreiten soll, dann habe ich von so viel Gott „genug“!
Und dann wird die theologische Idee eines Alfons Auer, dass jede Religion ihr Tun vor der menschlichen Vernunft rechtfertigen muss, wegweisend und ganz aktuell. Wenn im Namen Allahs von Soldaten dieses verbrecherischen Systems reihenweise Frauen vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt werden, dann braucht es dieses Weltethos und ein gemeinschaftliches vernünftiges politisches Vorgehen gegen diese Verbrecher – und die muslimische Welt und die christliche Welt müssen sich zusammenschließen.
Im sogenannten „Islamischen Staat“ entdecke ich nicht nur „genug Gott“, sondern „viel zu viel Gott“ – und „viel zu wenig vernünftiges Nachdenken über Gott“.
„Gott und Gold – wieviel ist genug?“ –
ganz offensichtlich haben wir Menschen die moralische Entscheidung zu treffen, welches das rechte, das vernünftige Maß ist, wenn es um Gott und wenn es um Gold geht.
Im heutigen Evangeliumstext hat Jesus gar kein Verständnis für die Geld-Macherei, die er da im Tempel von Jerusalem erlebt.
Mir ist dieser Jesus, wie er von Johannes heute geschildert wird, sehr sympathisch: Ein emotionaler, wütender und schimpfender Jesus steht da im Mittelpunkt der Erzählung. Jesus ist ganz offensichtlich auch nicht immer gelassen und souverän gewesen. Und im heutigen Evangelium handelt er politisch richtig unklug - und der spätere Prozess gegen ihn und sein Tod in Jerusalem hängen damit unmittelbar zusammen.
Was macht Jesus so wütend?
Für ihn, als Jude, ist der Tempel in Jerusalem zuallererst ein Ort des Gebets. Und vielleicht hat er dabei die folgenden Verse aus dem Buch des Propheten Jesaja im Kopf:
„Die Fremden, die sich dem Herrn angeschlossen haben, die ihm dienen und seinen Namen lieben,…. bringe ich zu meinem heiligen Berg und erfülle sie in meinem Bethaus mit Freude.“ (Jes 56, 6-7)
Was Jesus dann allerdings in Jerusalem antrifft, ist Geld-Macherei. Die Geschäfte sind für die Händler „goldwert“.
„Gott oder Geld“ – für Jesus geht es im Tempel „viel zu sehr“ ums „Geld“ und „viel zu wenig“ um „Gott“. Und deshalb handelt Jesus: Er legt sich mit den Geldwechslern an und damit indirekt auch mit den Tempelpriestern, die diese Geld-Macherei im Haus Gottes zulassen. Jesus handelt, damit Gott wieder mehr in den Blick der Menschen im Tempel kommt und es für sie wieder möglich wird, ihn zu feiern.
Und ich höre Jesus zu den Menschen im Tempel sagen:
„Ich sehe hier „viel zu viel Geld-Macherei“ und „viel zu wenig Gott“! Geld und Gold sind eure Schätze, anstatt unseren Gott als Schatz in euren Herzen zu ahnen!“
Und Jesus würde solche Sätze vermutlich heute wieder sagen: Vielleicht im Bischofshaus von Köln oder in der Vatikan-Bank oder in den Chefetagen bei den immer reicher werdenden Milliardären überall auf der Welt.
Liebe Gemeinde,
„Gott und Gold – wieviel ist genug?“ –
wenn Sie von mir jetzt eine eindeutige und in jedem Fall richtige Antwort auf diese Frage erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen. Die habe ich nicht, weil diese Frage je nach Situation unterschiedliche vernünftige Antworten haben kann.
Aber ich möchte Ihnen für alle wichtigen Entscheidungen - nicht nur für die Entscheidung zwischen „Gott“ und „Gold“ - die befreienden Gedanken von Alfons Auer mit in Ihr Leben geben:
Trauen Sie Jesus und seiner Reich-Gottes-Idee, und trauen Sie Ihrer eigenen Vernunft, Ihrem Gewissen.
Und wenn Ihre Entscheidungen dann unbequem sind und andere Menschen Sie deshalb bekämpfen, dann erinnern Sie sich vielleicht an Alfons Auer:
Sein Buch von der Freiheit der Vernunft durfte zunächst nicht gelesen und nicht gedruckt werden – so hat es damals unsere Kirchenleitung entschieden. Und deshalb hat es Alfons Auer im Jahre 1971 zunächst im Eigenverlag herausgebracht – und nur mit einer begrenzten Auflage. Mein Buch hier ist eines davon – das Zeugnis eines aufrechten Theologen, der sich selber bis ins hohe Alter treu geblieben ist. Ich habe ihn auch privat gekannt, und er hat mir sein Werk hier geschenkt. Alfons Auer selber und sein Buch sind für mich bis heute wertvolle theologische Begleiter – und das nicht nur bei der Frage
„Gott und Gold – wieviel ist genug?“
Amen.
© A. Böhm, 2015
Hier finden Sie die Predigt im pdf-Format.