Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

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2. Fastensonntag: Ira

Lesung: Gen 12, 1-4a

In jenen Tagen  sprach der Herr zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.
Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.
Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.
Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte.

 

Evangelium: Mk 11, 15-18

Jesus kam mit seinen Jüngern nach Jerusalem. Erging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug. Er belehrte sie und sagte: Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker sein? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht. Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten hörten davon und suchten nach einer Möglichkeit, ihn umzubringen. Denn sie fürchteten ihn, weil alle Leute von seiner Lehre sehr beeindruckt waren. Als es Abend wurde, verließ Jesus mit seinen Jüngern die Stadt.

 

Predigt:

Liebe Gemeinde,

„Menschliches, allzu Menschliches“ – wir befinden uns in unserer Predigtreihe zur Fastenzeit.

Der „Auslöser“ für unser diesjähriges Thema war das Buch von dem Psychologen Simon Laham „Die sieben Todsünden und warum sie gut für uns sind“. So wollten wir diese so genannten Todsünden einmal näher in den Blick nehmen.

Am letzten Sonntag haben wir mit der Superbia - Hochmut oder auch Stolz, begonnen. Hier unterscheidet Laham zwischen dem „anmaßenden Stolz“, der von einer großen Selbstüberschätzung und Arroganz kommt. Derartig stolze Menschen erscheinen hochnäsig, eingebildet, egoistisch und überheblich. Dann gibt es aber auch noch den „authentischen Stolz“ – auf eine gelungene Leistung darf man zu Recht stolz sein, und dadurch wird auch die persönliche Selbstsicherheit gestärkt.

Das heutige Evangelium führt uns direkt zu unserer heutigen Todsünde: Ira – der Zorn, die Wut, die Rachsucht. Und wir begegnen im Evangelium einem Jesus, den wir so seltenst erleben. Das ist nicht der milde lächelnde Wundertäter, o nein. Etwas flapsig ausgedrückt könnte man sagen: er ist stinksauer. Er kocht vor Wut.

Als kurze Sachinformation: Der Tempel in Jerusalem war das Heiligtum der Juden. Das Bauwerk, welches zur Zeit Jesu in Jerusalem stand, wird von dem Geschichtsschreiber Flavius Josephus als „eines der großartigsten Bauwerke, von denen man je gehört hat“, bezeichnet.

Der eigentliche Tempelbezirk war nur für Juden zugänglich.

Das Allerheiligste hinter dem Vorhang im Tempel galt als der Ort, wo Gott unter seinem Volk war. Einmal im Jahr, am Versöhnungstag Jom Kippur, betrat es der Hohepriester.

Vor dem Allerheiligsten befand sich das Heilige mit dem siebenarmigen Leuchter, wo die Priester Rauchopfer darbrachten.

Davor wiederum waren drei Vorhöfe für die Frauen, für die Männer und für die Priester und den langen Schlachtopferaltar.

Im so genannten Vorhof der Heiden mit Säulengalerien und Hallen war der Platz, wo gelehrt wurde und die Händler die Schlachtopfertiere verkauften. Auch die Geldwechsler, die den auswärtigen Tempelbesuchern den Einkauf ermöglichten, waren hier postiert.

Wenn Sie schon einmal auf einem orientalischen Basar waren, dann wissen Sie, wie es dort zugeht, und dann können Sie sich auch vorstellen, was Jesus erblickte, als er eintrat.

Und dann „räumt“ Jesus auf – er beginnt die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben, er stößt die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um.

Den Tempel, so wie er ihn vorfindet,  bezeichnet er als Räuberhöhle und verweist darauf, dass der Tempel ein Haus des Gebetes sein soll.

In der Fassung beim Evangelisten Johannes steht außerdem:

„Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ – ein Zitat aus Psalm 69.

Jesus verfällt also sozusagen in „heiligen Zorn“ –ich setze, wie es viele tun, die Begriffe Wut und Zorn jetzt einmal gleich. Zorn oder Wut als Todsünde pauschal zu verdammen, das ist für mich somit schon mit Blick auf dieses Evangelium unangebracht. Nicht umsonst spricht man auch im Volksmund von einer „gesunden“ Wut, also einer Wut, die der entsprechenden Sache angemessen ist.

Zorn, Wut - eine sehr starke Emotion. Und zunehmend hat unsere Gesellschaft entdeckt, dass es nicht gut tut, solche starken Emotionen zu unterdrücken, sie in sich hineinzufressen.

Früher galten Wut und Zorn – unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um eine Todsünde handelt – in den allermeisten Fällen als schlecht, als unpassend und unproduktiv. Von allen Zitaten, Sprichwörtern und Gedichten sind der Großteil diesbezüglich negativ besetzt: Die Menschen sollten sich gefälligst beherrschen und gemäßigt reagieren.

Heute ist die Frage des Umgangs mit Wut eine vieldiskutierte geworden – es gibt inzwischen zahlreiche Bücher dazu, für Erwachsene und sogar auch für Kinder. „Wohin mit meiner Wut?“ heißt es da oder auch „Was deine Wut dir sagen will“.

Auch viele Sprichwörter und Aphorismen greifen auf, was Wut und Zorn mit uns Menschen macht – oder was wir mit Wut und Zorn machen sollen.

So zum Beispiel bei Mark Twain, der da sagte: „When angry, count to four; when very angry, swear.“ – auf gut deutsch: „Wenn du wütend bist, zähl bis vier. Bist du sehr wütend, fluche.“

Zorn -oder Wut- ist allerdings nicht nur eine Emotion, mit der es umzugehen heißt, sondern kann auch ein Motor für unser Tun und Handeln sein.

„Ich arbeite nie besser als durch Zorn inspiriert. Wenn ich zornig bin, kann ich besser schreiben, beten, predigen, da mein Geist schneller arbeitet, mein Verstand geschärft ist und alle weltlichen Sorgen und Versuchungen dahingefahren sind.“ So sprach der große Theologe und Reformator Martin Luther.

Vielleicht haben Sie auch schon einmal vom „Enneagramm“ gehört. Der Untertitel lautet: „Die neun Gesichter der Seele“. Richard Rohr, ein amerikanischer Franziskaner, und Andreas Ebert, ein bayrisch-lutherischer Pfarrer entfalten hier eine Typologie menschlicher Charaktere. Die Menschen werden in 9 Charaktertypen eingeteilt – sind also zum Beispiel eine Eins oder eine Fünf. Diesen 9 Haupt-Charaktertypen sind jeweils so genannte „Wurzelsünden“ zugeordnet – darunter finden sich –wer hätt’s gedacht- auch unsere 7 Todsünden.

Nebenbei bemerkt trifft der Begriff „Todsünde“ eigentlich sowieso nicht per se zu; auch das, was wir umgangssprachlich als Todsünden bezeichnen, sind tatsächlich zunächst Haupt- oder Wurzelsünden, die dann und nur dann zu Todsünden werden, wenn sie vom Sünder mit vollen Bewusstsein ihrer schwerwiegenden Bedeutung  und aus freiem Willen begangen werden. Dann sind sie tatsächlich Todsünden – Sünden, die zur absoluten Trennung von Gott führen.

Aber zurück zu den Wurzelsünden: im Enneagramm ist die jeweilige Wurzelsünde eines Charakters seine größte Schwäche. Rohr und Ebert als Theologen verwenden hier den Begriff „unerlöst“, wenn sie von den entsprechenden Menschen sprechen also zum Beispiel eine unerlöste Drei.. Zugleich kann aber diese größte Schwäche zur größten Stärke werden, dann nämlich, wenn ich diese Schwäche, diese Wurzelsünde zunächst einmal bei mir überhaupt erkenne, sie mir eingestehe, und wenn es mir dann gelingt, sie zum Guten zu wandeln und sie sinnvoll in mein Leben zu integrieren. Menschen, die das geschafft haben, werden von Rohr und Eberts als „erlöst“ bezeichnet.

Zorn oder Wut – also eigentlich positiv zu sehen und über Jahrhunderte quasi fälschlicherweise den Todsünden zugerechnet?

Sicher nicht. Eine solche Sichtweise wäre genauso extrem wie eben die komplette Verdammung von Zorn und Wut als Todsünde.

Denn einen Aspekt von „ira“, dem lateinischen Begriff wie er in dem Katalog von Papst Gregor I. im Original heißt, einen Aspekt habe ich bisher ausgelassen: dieses lateinische Wort kann auch mit „Rachsucht“ übersetzt werden.

Alles Tun und Handeln, das von „ira“ angeregt wird, alles „Rauslassen“ von Zorn und Wut, all das findet nämlich seine Grenze beim jeweils anderen. Wo ich den anderen in seinem Tun und Handeln behindere, wo ich ihn gar durch mein ungehemmtes Agieren verletze, mit Worten oder durch Taten, da ist diese Grenze überschritten, und das natürlich insbesondere, wenn die Rachsucht ins Spiel kommt. Wenn ich dieses entsprechende Tun und Handeln bewusst geplant habe, aus Rache, oder wenn es gar ein Charakterzug von mir ist, auf jede Kränkung, auf jedes Unrecht, das mir –vermeintlich- angetan wurde, grundsätzlich mit Wut und Zorn gegen den anderen zu reagieren.

Wenn dem so ist, dann befinden wir uns sehr wohl im Bereich der „Sünde“, also des Handelns gegen Gottes Gebote, der Missachtung von Jesu Botschaft der Liebe.

 

Liebe Gemeinde.

Der Liedermacher Konstantin Wecker fragt in seinem Lied „Wut und Zärtlichkeit“:

„Kann man wütend sein und weise,
laut sein und im Lauten leise,
macht gerechter Zorn nicht müde,
ist vielleicht nur Attitüde?“

Es ist nicht leicht, mit Wut und Zorn angemessen umzugehen – das hat schon der Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert erkannt, wenn er formuliert:

„Jeder kann wütend werden, das ist einfach.
Aber wütend sein auf den Richtigen zu sein,
im richtigen Maß, zur richtigen Zeit,
zum richtigen Zweck und auf die richtige Art,
das ist schwer.“

Trotzdem – oder gerade deshalb wünsche ich Ihnen, dass es Ihnen gelingt, Wut -oder Zorn- auch zuzulassen und den Umgang damit angemessen in Ihr Leben zu integrieren.

Amen.

© B. Vallendor, 2014

 

HIER finden sie die Predigt im pdf-Format.