Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
Schwalbenweg 5
88213 Ravensburg

Tel. 0751-7912430
Fax 0751-7912440
E-Mail: Info-Dreifaltigkeit.RV@drs.de

 

 

4. Fastensonntag: "... erlöse uns von dem Bösen"

Lesung: Jos 5,9a.10-12

Und der Herr sagte zu Josua: Heute habe ich die ägyptische Schande von euch abgewälzt.
Als die Israeliten in Gilgal ihr Lager hatten, feierten sie am Abend des vierzehnten Tages jenes Monats in den Steppen von Jericho das Pascha.
Am Tag nach dem Pascha, genau an diesem Tag, aßen sie ungesäuerte Brote und geröstetes Getreide aus den Erträgen des Landes.
Vom folgenden Tag an, nachdem sie von den Erträgen des Landes gegessen hatten, blieb das Manna aus; von da an hatten die Israeliten kein Manna mehr, denn sie aßen in jenem Jahr von der Ernte des Landes Kanaan.

 

Evangelium: Lk 13.10-17

Am Sabbat lehrte Jesus in einer Synagoge.
Dort saß eine Frau, die seit achtzehn Jahren krank war, weil sie von einem Dämon geplagt wurde; ihr Rücken war verkrümmt und sie konnte nicht mehr aufrecht gehen.
Als Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sagte: Frau, du bist von deinem Leiden erlöst.
Und er legte ihr die Hände auf. Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott.
Der Synagogenvorsteher aber war empört darüber, dass Jesus am Sabbat heilte, und sagte zu den Leuten: Sechs Tage sind zum Arbeiten da. Kommt also an diesen Tagen und lasst euch heilen, nicht am Sabbat!
Der Herr erwiderte ihm: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke?
Diese Tochter Abrahams aber, die der Satan schon seit achtzehn Jahren gefesselt hielt, sollte am Sabbat nicht davon befreit werden dürfen?
Durch diese Worte wurden alle seine Gegner beschämt; das ganze Volk aber freute sich über all die großen Taten, die er vollbrachte.

 

Predigt

Liebe Gemeinde,

Anne Höfler ist 69 Jahre alt und sagt von sich, dass sie Menschen – vor allem Kinder – spirituell heilen kann.

Sie hält Vorträge in der Katholischen und Evangelischen Erwachsenenbildung überall in Deutschland und leitet Kurse für Eltern mit chronisch kranken Kindern, damit die Väter und Mütter lernen, wie sie ihre Kinder durch Handauflegung heilen können.

Bei Willigis Jäger – Benediktinermönch, Mystiker und Zen-Meister – hat Anne Höfler eine Ausbildung in der Würzburger Schule der Kontemplation erfolgreich abgeschlossen.

Und sie beschreibt spirituelles Heilen so:

„Spirituellen Heilern und Heilerinnen auf der ganzen Welt gemein ist die Tatsache, dass jede Heilkraft, die durch sie hindurchströmt, nicht von ihnen selbst kommt.

Spirituelle Heiler und Heilerinnen verbinden sich mit dem, was für sie das Höchstgöttliche ist, und lassen dann die Kraft durch sie hindurch wie durch einen Kanal in den Kranken fließen. Sie bemühen sich, ihre persönliche Ebene so weit wie möglich in den Hintergrund zu stellen, und nur die göttliche Kraft wirken zu lassen. Die Kraft, die aus ihren Händen strömt, ist also nicht ihre eigene Energie. …

Oft muss man eine ganze Menge an sich selber arbeiten, bevor man dies erreicht. Das ist eine gute Lektion im Loslassen.“

( aus: Anne Höfler, Leg mir die Hand auf“, Pan Edition, Füssen 2006, Seite 24)

Loslassen – offen sein wie ein Kanal für das, was für uns Menschen das Höchstgöttliche ist – und dann heilsam, erlösend sein für andere!

Können Sie glauben, dass ein solches spirituelles Heilen, wie es Anne Höfler erahnt, erlernt und dann erlebt hat, möglich ist und dass wir alle die Kraft des Göttlichen tatsächlich in unserem Alltag so erfahren können?

Oder haben vielleicht sogar manche von Ihnen, hier in unserem Gottesdienst, diese Gabe, dieses Charisma, dass Sie nur durch Berühren anderen Menschen Kräfte zufließen lassen können – Kräfte, die aufrichten, befreien, „erlösen von allem Bösen“?

Im heutigen Evangelium erzählt uns Lukas, dass es da Einen gibt, der auf ganz herausragende Weise die Menschen in seiner Nähe von ihren teuflischen Fesseln befreien konnte:

Jesus, der Mann, von dem alle Schreiber im Neuen Testament übereinstimmend erzählen, wie sehr es ihn bis in sein Innerstes berührt und erschüttert hat, wenn Frauen und Männer ihr Ganz-Sein und Heil-Sein verloren haben: Durch körperliche und psychische Krankheiten, durch Behinderungen, durch Schicksalsschläge, durch eigenes Betrügen und Schuld – aber auch, weil andere Menschen oder die Mächtigen in Staat und Kirche sie zu Verlorenen gemacht haben.

Wenn Jesus solchen menschlichen Schicksalen begegnet, dann erleben wir als Leserinnen und Leser der Bibel bis heute seine ganze Empathie, sein Mitfühlen, seine Leidenschaft und sein Herzblut - aber auch: Seine un-glaublichen, „höchstgöttlichen“ Kräfte.

Und deshalb spürt der Mann aus Nazareth wohl  auch den stummen Schrei der gekrümmten Frau, wie es Lukas im Evangelium heute erzählt.

Unter das betende Volk hat sie sich gemischt – in der Synagoge, am Sabbat.

Sie kann sich aus eigener Kraft seit 18 Jahren nicht mehr aufrichten und den Menschen in ihrer Nähe nicht mehr erlöst in die Augen sehen.

Ich kann mir vorstellen, wie wenig selbstbewusst sie gewesen sein muss – mit ihrer nicht schön anzusehenden, verkrümmten Gestalt, und dann noch in einer Gesellschaft, die Frauen auf ganz unterschiedliche Weise erniedrigt hat.

Und dann erlebt diese Frau in der Begegnung mit Jesus, was Erlösung ist:

Erlösung von ihrem Leiden, Lösen der Fessel jeder Demütigung – Erlösung on ihrem ganz persönlichen Bösen.

Ich entdecke in der Erzählung bei Lukas 5 aufeinanderfolgende Handlungen Jesu, die schließlich bewirken, dass die Frau wieder zum Leben kommt:

An-sehen -  an-sprechen -  an-sagen  - an-fassen - an-fragen –

das ist für mich der Schlüssel zum Verstehen aller wunder-vollen Heilungen Jesu in der Bibel – und: Es sind aufeinanderfolgende Handlungen, die aufzeigen, was Erlösung bei Jesus bedeutet und wie die Menschen in seiner Nähe Erlösung durch ihn erfahren haben:

Zuallererst: An-sehen:

Jesus sieht die Frau – er schaut nicht weg, er verleiht ihr An-sehen.

Er hält den gar nicht schönen Anblick aus. Die Frau ist ihm in diesem Augenblick wichtiger als alle frommen Gebete und Rituale im Synagogengottesdienst.

An-sprechen:

Jesus geht auf die Frau zu. Er gafft sie nicht nur neugierig aus einer sicheren Entfernung an, sondern begegnet ihr.

προσφωνειν steht im griechischen Urtext, und das bedeutet:

„ansehen auf Augenhöhe“ – und eben nicht „von oben herab“.

An-sagen:

Jesus sagt zu ihr: „Frau, du bist von deinem Leiden erlöst.“

Er traut ihr zu und sagt ihr zu:

„Du kannst wieder aufrecht gehen, voller Selbstbewusstsein, ohne Schmerzen. Ich stärke dir den Rücken!“

Und dann ganz entscheidend ist das An-fassen:

Jesus nähert sich der fremden Frau: körperlich, als Mann, im Synagogengottesdienst!

Er übersteigt Grenzen und übergeht religiöse Vorschriften – nicht willkürlich, sondern damit die Menschen erlöst leben können.

Und dann strömt diese Kraft des „Höchstgöttlichen“ über auf diese kranke und gedemütigte Frau:

Berührung – Handauflegung – göttliche Kräfte – Erlösung !

Da versagt unsere menschliche Vorstellungskraft, da versagen menschliche Worte, wenn himmlische Erlösung geschieht!

Bei der gekrümmten Frau versagt die Sprache nicht. Sie hat Erlösung am eigenen Leib erlebt. Und ihre Reaktion darauf ist: Jubel!

Gott loben und preisen – das tut sie jetzt, vielleicht so, wie es Maria im Magnificat auch getan hat.

Aber nicht alle Anwesenden in der Synagoge stimmen in diesen Jubel der Erlösung ein!

Und deshalb zum Schluss: An-fragen:

Jesus muss ein Streitgespräch mit dem Vorsteher der Synagoge aushalten, weil der ihm vorwirft, dass er am Sabbat heilt.

Und Jesus sieht auch den Synagogenvorsteher an. Auch ihn nimmt er ernst, und er streitet mit ihm als religiöser Autorität vor Ort über die Auslegung des jüdischen Sabbatgebots.

Und dabei muss sich der Mächtige in der Synagoge die An-frage Jesu anhören:

„Muss nicht das Heil-Werden, die Erlösung der Menschen immer Vorrang haben vor noch so wertvollen und noch so traditionsreichen Gesetzesformulierungen!!??“

Jesus verurteilt  im heutigen Evangelium eine von den Schriftgelehrten angeordnete Frömmigkeit, weil dadurch zentrale Gebote der Menschlichkeit missachtet werden. Und: Jesus sieht bei einem solchen Handeln Gottes Heilsplan mit den Menschen verraten!

Der Synagogenvorsteher und die Schriftgelehrten rechtfertigen ihr unmenschliches Verhalten theologisch damit, dass sie ihre religiöse Tradition und ihre Vorschriften gegen die Liebe Gottes ausspielen. Und da macht Jesus nicht mit!

Bei Jesus hat liebendes, heilendes und erlösendes Dasein für andere immer Vorrang vor der Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften – in der Religion, genauso wie im Staat.

Jesus hat sich also nicht nur ganz einfühlsam und heilend einzelnen Menschen zugewandt und auf wunder-volle Weise göttliche Heilkräfte auf sie überfließen lassen können.

Er ist wohl auch ganz und gar davon überzeugt gewesen, dass einzelne Menschen nicht dauerhaft geheilt werden können, wenn das gesellschaftliche oder das  kirchliche System, in dem diese Menschen leben, krank ist.

Ich wünsche mir, dass der neue Papst  in unserer Kirche – wer immer es auch sein mag – sich bei allem, was er tut, zuallererst selber von Jesus anfragen lässt, und dass er erst anschließend  seine Kardinäle, seine Berater, die Tradition der Kirche und das kirchliche Gesetzbuch  befragt – und eben nicht umgekehrt!   

Liebe Gemeinde,

„…und erlöse uns von dem Bösen!“ –

So hat Jesus seine Jüngerinnen und Jünger das Vater-unser-Beten gelehrt.

Und er selber hat ihnen sein ganzes Leben lang gezeigt, wie er Menschen erlöst hat von ihrem ganz persönlichen Bösen:

Bartimäus, den Blinden, Zachäus, den Betrüger, Maria Magdalena, die psychisch Kranke – und viele namenlose Männer und Frauen, auch die gekrümmte Jublerin im heutigen Evangelium.

„An-sehen, an-sprechen, an-sagen, an-fassen, an-fragen“ –

das ist das Geheimnis aller heilenden und befreienden Begegnungen mit Jesus.

Und: Es ist unser Auftrag als seine Nachfolgerinnen und Nachfolger in seinem Sinne erlösend in der Welt zu sein – und  immer mit dem Vertrauen, dass uns dabei göttliche Kräfte zufließen.

Anne Höfler sagt von sich, dass bei der Auflegung der Hände diese göttlichen Kräfte durch sie hindurch fließen und dass diese Energie auf andere Menschen heilend wirkt – auch körperlich!

Vielleicht wundern Sie sich jetzt:

Ich habe diese Erfahrung selber nicht nur einmal gemacht, dass mir Kräfte zufließen, wenn kraft-volle Hände mich in der Krankheit berühren.

Das bedeutet nicht, dass ich allen, die sich Geistheilerinnen und Geistheiler nennen, traue, besonders dann nicht, wenn sie dafür Geld verlangen oder wenn sie todkranken Menschen einreden wollen, dass sie schon wieder gesund werden, wenn sie nur richtig beten. In manchen Heilungsgottesdiensten geschieht das ja wohl….

Aber mein eigenes Gottesbild hat sich mit diesen Erfahrungen des Heil-Werdens verändert:

Ich ahne, dass unser Gott eine letztmächtige Kraft in unserer Welt ist – auch wenn wir diese göttliche Kraft mit unseren Augen nicht sehen können. Um das zu verstehen, hilft mir das Bild des Magneten.

Unser Gott bewirkt Großes mit seiner unsichtbaren, aber erlösenden Kraft. Und um diese Energie bitten wir, wenn wir im „Vater unser“ beten:

„…. erlöse uns von dem Bösen.“

Amen.

© A. Böhm, 2013

 

Diese Predigt finden Sie hier als pdf.