Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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1. Fastensonntag: "Vater (unser) im Himmel"

Lesung: Dtn 26, 4-10

Dann soll der Priester den Korb aus deiner Hand entgegennehmen und ihn vor den Altar des Herrn, deines Gottes, stellen.
Du aber sollst vor dem Herrn, deinem Gott, folgendes Bekenntnis ablegen: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk.
Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und legten uns harte Fronarbeit auf.
Wir schrien zum Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis.
Der Herr führte uns mit starker Hand und hoch erhobenem Arm, unter großem Schrecken, unter Zeichen und Wundern aus Ägypten, er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen.
Und siehe, nun bringe ich hier die ersten Erträge von den Früchten des Landes, das du mir gegeben hast, Herr. Wenn du den Korb vor den Herrn, deinen Gott, gestellt hast, sollst du dich vor dem Herrn, deinem Gott, niederwerfen.

 

Evangelium: Mt 6, 5-15

Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.
Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen.
Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.
So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde.
Gib uns heute das Brot, das wir brauchen.
Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen.
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben.
Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

 

Predigt

Liebe Mitchristen,

vielleicht sind Sie ja schon gespannt, was jetzt heute kommt, wenn wir in der Fastenzeit uns mit dem Vaterunser befassen.

=> Ich muss gestehen, dass ich nicht geahnt habe, auf was ich mich da einlasse. Es war einfach so eine Idee.

=> Das Vaterunser ist zu einem Allerweltsgebet geworden. Es ist wahrscheinlich das Gebet, das auf dieser Erde jeden Tag am häufigsten gesprochen wird in den Reihen der Christen. Es ist selbstverständlich und man hat den Eindruck, dass es da doch kaum etwas zu bedenken gibt.

=> Und doch lohnt es sich, dieses Gebet einmal ganz gründlich anzuschauen. Was ist das für ein Gebet, das Sie heute im Evangelium in der Version des Mt gehört haben.

=> Es gibt im Neuen Testament zwei Versionen des Vaterunsers. Eben diese, die wir von Mt her kennen und die auch in der Liturgie überwiegend gesprochen wird.

=>  Und es gibt die noch etwas kürzere Version des Lk, die wahrscheinlich noch ursprünglicher ist und näher an dem dran ist, was Jesus seine Jünger gelehrt hat.

=> Ich beziehe mich heute auf die Version des Mt und mir geht es heute nur um die Anrede dieses Gebets: unser Vater im Himmel.

=> Damit Sie sich hineinversetzen können in die Situation, in der Jesus seine Jünger das Beten lehrt, muss ich Sie in die Geschichte mitnehmen, in die Zeit Jesu.

=> Im Judentum gibt es natürlich eine große Gebetstradition, in der sowohl Jesus als auch seine Jüngerinnen und Jünger zu Hause waren.

=> Jesus kennt die Psalmen und er kennt die Teffila, das sog. Achzehnbittengebet, das das Hauptgebet im jüdischen Gottesdienst ist und er kennt auch das Kaddisch, das ist das Zentrum des täglichen Gebets des gläubigen Juden und steht immer am Abschluss eines liturgischen Abschnitts.

=> Das Achzehnbittengebet beginnt mit einem Lobpreis:

Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, du Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, du großer, starker, furchtbarer Gott, du höchster Gott, du Gründer Himmels und der Erden. Du unser Schild und unserer Väter Schild, du unsere Zuflucht von Generation zu Generation. Gepriesen seist du, Herr, du Schild des Abraham. …

=> Vielleicht haben Sie es gemerkt: hier sind noch keine Bitten da. Hier gibt es erst einen großen Lobpreis bevor dann die ganze Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk folgt. In diesem Teil sind die achtzehn Bitten enthalten, die jeweils Veränderung erbitten.

=> Das Kaddisch ist ein Heiligungsgebet, das zum täglichen Glaubensleben der Juden dazu gehört. Es wird immer wieder – auch im Gottesdienst – als Abschluss der Verkündigung gesprochen oder als Totengebet:

Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von ihm erschaffen wurde

Und sein Reich erstehe in eurem Leben und in euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel, schnell und in nächster Zeit, sprecht: Amen.

=> Diese Gebete kennt Jesus. Diese Gebete sind auch seinen Jüngerinnen und Jüngern geläufig.

=> Warum braucht es da ein neues Gebet?

=> In der Version des Mt grenzt sich Jesus ab gegen die Heiden, die viele Worte machen und meinen, dass sie dadurch Erhörung bei der Gottheit finden. Er verkürzt das Beten seiner Jüngerinnen und Jünger auf ein reines kurzes Bittgebet.

=> Die Gliederung dieses Gebets ist einfach:

Drei Bitten richten sich direkt an Gott (geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe), 4 Bitten bringen die Situation der Menschen zur Sprache (Brot, Schuldvergebung, keine Versuchung, Erlösung von dem Bösen)  â€“ und das in aller Kürze.

=> Warum hat Jesus seinen Jüngern so eine Kurzform gelehrt?

=> Da gibt es nur eine Antwort: Es ist Endzeit! Es ist die bedrängende Not des Gottesvolkes.

=> Diese kurze Anrede „unser Vater“ ist wie ein Schrei, dass Gott doch jetzt endlich eingreifen soll! Ohne Umschweife wird Gott angeredet. Die Gottesherrschaft bricht an! Und da darf man dann keine Zeit mehr verlieren mit langem Geplapper wie die Heiden.

=> In der Gebetstradition der Antike gibt es immer auch die Anrufungen für die Gottheit und es ist da entscheidend wichtig, dass da auch der richtige Ton und der richtige Titel für die Gottheit verwendet wird, weil sonst hört evtl. der Gott gar nicht zu.

=> So ein Gebet hat auch etwas von einem Hofzeremoniell, weil auch die weltlichen Herren gebührend angesprochen werden wollten.

=> Das kennt das Vaterunser nicht. Jesus sagt einfach: so sollt ihr beten: unser Vater im Himmel …

=> Damit bringt er sich und die Seinen in einen unmittelbaren Zusammenhang mit Gott dem Schöpfer des ganzen Universums.

=> Das aber ist für die Menschen seiner Zeit reine Gotteslästerung, weil er sich als kleines Menschlein mit Gott auf eine Stufe stellt.

=> Kein Jude kann so unmittelbar von Gott reden als seinem Vater. Das verbietet die Erhabenheit Gottes.

=> Aber es ist ja noch schlimmer: Jesus verwendet an dieser Stelle einen ganz familiären Ausdruck, nämlich „Abba“ – Abba ist der Ausdruck, den Kinder – und nur Kinder(!) zu ihrem Vater sagen.

=> Für Gott ist diese Anrede absolut unangemessen im Denken der Juden dieser Zeit. Die Juden können von Gott nur als dem Vater des Volkes Israels reden oder vom Gott der Väter … Aber niemals kann es sein, dass jemand zu Gott einfach „mein Vater“ sagt!

=> Wie kommt dann Jesus dazu, die ganze jüdische Welt seiner Zeit so vor den Kopf zu stoßen?
=> Die einzige Antwort, die es darauf gibt, ist wieder diese hochgespannte Naherwartung, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist, weil Gott sein Reich heraufführen wird.

=> Und Jesus ist zutiefst überzeugt: es gibt nur noch den einen Vater und es braucht auch nur noch den einen Vater.

=> Seine Jüngerinnen und Jünger haben ja alles einfach zurück gelassen, um Jesus zu folgen, Frauen, Kinder, Väter und Mütter. Damit sind die alten Familienbande nicht mehr da. Aber eine Existenz ohne Familie ist in dieser Zeit einfach nicht vorstellbar. Deswegen bildet Jesus jetzt die neue Familie mit Gott als dem einen Vater für alle.

=> Deswegen lehrt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger, dass sie alle zu Gott direkt „Vater“ sagen dürfen und sollen. Die Menschen brauchen diesen familiären Rückhalt. So können sie alle sich wieder sicher fühlen.

=> Das archaische Bild vom Vater der einen Menschheitsfamilie liegt hier zugrunde.

=> Es geht hier nämlich nicht um ein männliches Oberhaupt einer Gruppe, sondern um den väterlichen Urgrund aller Welten, des Himmels und der Erde. Es geht um den Urquell allen Lebens, aller Bewegungskräfte, die das Leben der Welt wie auch das Wesen und Sein des Menschen durchwalten.

=> Das ist dieses archaische Bild von einem „Vater“, dessen Liebe sich in die Welt hinein entäußert hat bis hinein in das letzte Stück Materie.

=> So zeigt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern Gott und ermuntert sie, Gott als ihren Vater zu bekennen. Das ist die neue Familie Gottes.

=> „Unser Vater im Himmel“, diese Anrede öffnet den Horizont weit über die Schranken einer bestimmten Religion hinaus.

=> Mit dieser Anrede wird die ganze Menschheitsfamilie eingeschlossen, weil alle Menschen zu dieser Familie Gottes gehören, der der einzige Vater ist, weil die ganze Schöpfung der Beweis ist für die väterliche Liebe.

=> Dieses Wort „Vater“ im Vaterunser führt uns also in eine ganz andere Welt. Es hat nichts mit den Bildern  von Vätern aller Art in unserer Welt zu tun bis hin zum Title „Heiliger Vater“. Es geht nicht um einen männlichen Familienvorstand, sondern um die Gewissheit, dass da einer ist hinter allem Sein, der Menschen begleitet, schützt und ihnen hilft.

 

=> Jesus war sich dieser Dimension absolut sicher und deswegen war er so gefährlich für die Patriarchen seiner Zeit. Wer sich so unmittelbar mit Gott, dem einzigen Vater, verbunden weiß, der braucht die menschliche Macht nicht zu fürchten.

=> Das macht ihn gefährlich für diesen Machtapparat, der seine Macht bezieht aus der Angst der Menschen vor Repressalien.

=> Jesus fürchtet sich nicht.

=> Und er will auch, dass seine Jüngerinnen und Jünger sich so unmittelbar mit Gott verbunden wissen, dass auch sie sich nicht mehr fürchten müssen. Sie sollen wissen, dass sie zur großen Familie Gottes dazu gehören.

=> Das gibt das Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit, damit die Angst sie nicht überwältigen kann. Das ist die Befreiung zur Freiheit!

=> Das ist eine größere Freiheit als die Befreiung des Volkes vom Joch der Römer. So zeigt sich Jesus als der Befreier seines Volkes!

=> Diese Befreiung hält an bis zum heutigen Tag für den, der zu Gott „Abba“ sagt.

=> Das ist das Geheimnis der Anrede in diesem Gebet: Vaterunser – unser Vater im Himmel: So werden die Beter zur Freiheit befreit, die ihnen niemand nehmen kann.

=> Ich wünsche Ihnen diese Befreiung für Ihr Leben, damit Sie sich vor nichts fürchten müssen.

Amen

© R. Hübschle 2013


Diese Predigt finden Sie hier als pdf.