Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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88213 Ravensburg

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4. Advent

Lesung: Jes 35, 1-6.10

Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe / und blühen wie die Lilie. Sie wird prächtig blühen / und sie wird jauchzen, ja jauchzen und frohlocken. Die Herrlichkeit des Libanon wurde ihr gegeben, / die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. Sie werden die Herrlichkeit des HERRN sehen, / die Pracht unseres Gottes. Stärkt die schlaffen Hände / und festigt die wankenden Knie! Sagt den Verzagten: / Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! / Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes! / Er selbst kommt und wird euch retten. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan / und die Ohren der Tauben werden geöffnet. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch / und die Zunge des Stummen frohlockt, denn in der Wüste sind Wasser hervorgebrochen / und Flüsse in der Steppe. Die vom HERRN Befreiten kehren zurück / und kommen zum Zion mit Frohlocken. Ewige Freude ist auf ihren Häuptern, / Jubel und Freude stellen sich ein, / Kummer und Seufzen entfliehen. 

 

Evangelium: Joh 9, 1-4a.5-7

Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde? Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Das heißt übersetzt: der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.   

 

Predigt:

Liebe zum Gottesdienst versammelte Zuhörerinnen und Zuhörer,

In unserer Predigtreihe geht es dieses Jahr um Hoffnungsknospen in einer kalten Welt.

Am 1. Advent haben wir vom ehrenamtlichen Einsatz der freiwilligen Feuerwehr gehört. Zu dieser Tätigkeit, die körperlich anstrengend und unter Gefahr für Leib und Leben geleistet wird, muss ich, denke ich, nicht viel sagen.

Am 2. Advent wurde uns der Ravensburger Kleiderladen „Patchwork“ vorgestellt. Hier können Menschen zu günstigen Preisen gut erhaltene Kleidungsstücke erwerben. Betrieben wird der Kleiderladen in ökumenischer Zusammenarbeit von den evangelischen und der katholischen Gesamtkirchengemeinde durch 22 Teams von Ehrenamtlichen.

Am 3. Advent haben wir einen Blick auf die Ehrenamtlichen in unserer Seelsorgeeinheit geworfen. Über 400 Kinder, Jugendliche und Erwachsene engagieren sich in unseren fünf Kirchengemeinden – vom Ministrantendienst über die Kirchenmusik bis hin zur Seniorenarbeit, nicht zu vergessen die Kirchengemeinderäte.

Heute am 4. Advent soll es nun um Unterstützungs- und Selbsthilfegruppen gehen, vor allem mit Blick auf medizinische Belange.

„Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?“ So fragen die Jünger im eben gehörten Evangelium ihren Meister, Jesus.

Die Vorstellung, dass Leiden und Krankheit mit „Sünde“ zu tun haben, also eine Strafe Gottes sind, war zur Zeit Jesu gang und gäbe, und bis ins Mittelalter und darüber hinaus verbreitet.

Und zu meinem ehrlichen Entsetzen gibt es auch heute noch Menschen, die das so glauben – denken Sie nur an Aussagen wie „Aids ist eine Strafe Gottes“.

Papst Franziskus hat zu diesen Themen 2022 klare Worte gefunden. Er sagte: „Ich denke dabei etwa an die Eltern von Kindern mit schweren Behinderungen, denkt ihr daran, wie es Eltern und Kindern mit schweren Behinderungen geht? Ihr ganzes Leben lang... Ich denke auch an diejenigen, die mit einer dauerhaften Behinderung leben, oder an die Familienmitglieder, die ihnen nahe stehen... Situationen, die durch knappe finanzielle Mittel oft noch verschärft werden. Zu bestimmten Zeitpunkten in der Geschichte scheinen sich diese Lasten zu häufen. So war es in den letzten Jahren mit der Covid-19-Pandemie und so ist es jetzt mit dem Krieg in der Ukraine. Aber können wir diese â€šExzesse‘ (des Ãœbels) als eine überlegene Rationalität der Natur und der Geschichte rechtfertigen? Können wir sie religiös absegnen, als gerechtfertigte Antwort auf die Schuld der Opfer, die sie verdient haben? Nein, das können wir nicht", betonte der Papst. 

Diesbezüglich kann ich unserem Papst hier aus vollem Herzen zustimmen. Gott straft keine Unschuldigen mit Krankheit und Leid.

Die „warum“-Frage aber bleibt bestehen – warum hat ein Mensch eine bestimmte Krankheit oder Behinderung, oder warum ist ihm oder ihr etwas Schlimmes zugestoßen. Meistens schließen sich an die „warum“-Frage andere „w“-Fragen an: Wie damit umgehen? Was tun? Wer kann helfen?

So fragen sich Menschen mit einer Krankheit oder Behinderung oder denen Leid widerfahren ist. Oder ihre Angehörigen, Freunde und Bekannte.

Und sehr oft stehen Selbsthilfe- und Unterstützungsgruppen hier mit Rat und Tat zur Seite.

Drei solche Gruppen möchte ich Ihnen vorstellen – beispielhaft für viele andere:

Da sind die Anonymen Alkoholiker. Eine klassische Selbsthilfegruppe für Selbstbetroffene.
Ich zitiere Ihnen aus der Selbstdarstellung von ihrer Website:

Die Anonymen Alkoholiker sind Menschen aller Völker, Kulturen, Bekenntnisse und sozialer Schichten, die ein gemeinsames Problem haben – den Alkoholismus. Um ihr Problem, die Alkoholabhängigkeit, lösen zu können, schließen sich die Anonymen Alkoholiker zu Gruppen zusammen. Bei den meist wöchentlichen Gruppentreffen, den so genannten Meetings, sprechen sie von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Trinken, dem Aufhören und dem Leben ohne Alkohol: der einzigen Genesungsmöglichkeit.

Aus diesen Meetingsgesprächen schöpfen die teilnehmenden Alkoholiker immer wieder aufs Neue Erfahrung, Kraft und Hoffnung für ihr eigenes Leben, das sie in Selbstverantwortung führen wollen. Jeder muss seine Genesung – ein Leben ohne Alkohol – selbst in Angriff nehmen. Die Gemeinschaft AA, die Gruppen, die Genesenden zeigen nur die Lösungsmöglichkeit, Lösungswege auf.

Mit dem Trinken kann nur aufhören, wer den Wunsch dazu hat. Jeder, der diesen Wunsch verspürt, ist im Meeting willkommen.

Die Anonymen Alkoholiker versuchen, ein glückliches, zufriedenes Leben zu führen. Durch ihr Beispiel im Meeting und im täglichen Leben zeigen sie noch leidenden Alkoholikern einen Weg aus dem Alkoholismus.

Die Gemeinschaft versetzt Alkoholiker in die Lage, sich selbst zu helfen.

Und: Die Gemeinschaft kennt keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren, sie erhält sich durch eigene Spenden. Eine Regionalgruppe hier in der Gegend gibt es übrigens in Weingarten.

So wie die Anonymen Alkoholiker gibt es noch zahlreiche Selbsthilfegruppen, die sich selbst organisieren, um sich und anderen helfen – ehrenamtlich.

Als zweite Beispielgruppe möchte ich „Brennessel“ kurz darstellen:

Brennnessel ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Ziel es ist, das Thema sexualisierte Gewalt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und Betroffenen unbürokratische Hilfe in Form von Anlaufstellen zu ermöglichen. Hilfe bei sexuellem Missbrauch, oder beim Verdacht auf solchen gibt es für akut betroffene Kinder und Jugendliche, ebenso aber auch für Erwachsene, die in ihrer Kindheit und Jugend betroffen waren. Außerdem gibt es bei Brennessel auch Fort- und Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte und Ehrenamtliche für den Umgang mit der Thematik und vor allem auch mit betroffenen Kindern und Jugendlichen.

An zwei Standorten, in Ravensburg und Biberach, können Termine ausgemacht werden. Zudem gibt es die Möglichkeit der Online-Beratung. Die Mitarbeiter:innen sind bei Brennessel angestellt und kommen aus verschiedensten Bereichen, von Systemischem Coaching bis Heilpädagogik.

Der Vorstand des Vereins allerdings ist rein ehrenamtlich tätig und hat umfangreiche Aufgaben: er sichert die Finanzierung der Fachberatungsstelle, erfüllt die wirtschaftlichen Aufgaben des Vereins erfüllen und betätigt sich in der Öffentlichkeitsarbeit.

Brennessel – ein Verein, der sich für andere einsetzt.

Die Anonymen Alkoholiker – eine Gemeinschaft, die sich selbst, d.h. sich gegenseitig als Selbstbetroffene unterstützen möchten.

Mein drittes Beispiel ist jetzt ein persönliches: wie Sie vielleicht wissen, haben wir eine Tochter mit einer genetischen Behinderung. Auch hier gibt es einen Förderverein – er heißt Förderverein 5p-Syndrom. Dieser Verein wird ebenfalls rein ehrenamtlich getragen.  Die Mitglieder sind nicht selbst betroffen – wie bei den Anonymen Alkoholikern, aber in der Regel geht es auch nicht um Hilfe und Beratung „von außen“ wie bei Brennessel. Die Mitglieder von 5p-Syndrom haben in den allermeisten Fällen vom Syndrom betroffene Angehörige, überwiegend die eigenen Kinder.

Vor über 20 Jahren hat eine damals noch junge Mutter den Verein gegründet, der inzwischen über 200 Mitglieder bundesweit und darüber hinaus hat.

Das klingt im ersten Moment nach vielen, aber wenn Sie das auf die gut 84 Millionen Einwohner Deutschlands übertragen wird klar, warum es hier – im Gegensatz zu beispielsweise den Anonymen Alkoholikern keine wöchentlichen lokalen Gruppentreffen geben kann. Es gibt ein jährliches Wochenende, immer mit Referenten „vom Fach“, zum Beispiel zu Verhaltensproblemen. Außerdem gibt es einen Jahresrundbrief, und auch online-Austausch. Manchmal treffen sich auch größere Regionen, wie z.B. Südwürttemberg.

Denn auch die Mitglieder dieses Vereins haben viele Sorgen und auch Fragen: zum Beispiel

-    - Zur Entwicklung der Kinder allgemein

-    - zu Therapiemöglichkeiten

-    -  zu speziellen Problemen, die aber viele betreffen, zum Beispiel das Schlafverhalten

-     - und nicht zuletzt auch zu Rechtlichem

Leider ist das öffentliche und vor allem medizinische Interesse bei solchen seltenen Behinderungen wie dem 5p-Syndrom eher gering, sprich, es passiert eigentlich nichts. „Eigentlich“, denn dem Förderverein ist es gelungen, einen Humangenetiker zu gewinnen, der nun bereits zum dritten Mal eine Fallstudie angestoßen hat, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Hoffentlich werden wir so noch mehr über die zugrunde liegende Genetik des Syndroms in Erfahrung bringen und demzufolge neue Ansätze und Ideen für Therapien und Konzepte entwickeln. Ohne die zeitaufwändige – und ehrenamtliche – Beteiligung zahlreicher Mitglieder und die Bemühungen des Vereinsvorstandes wäre das alles nicht möglich.

Hoffnungsknospen in einer kalten Welt – anhand von drei Beispielen für Selbsthilfe- und Unterstützungsgruppen. Diese stehen stellvertretend für die zahllosen anderen.

 

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

wenn es doch immer so einfach wäre wie in unserem heutigen Evangelium: da hat ein Mensch ein - in diesem Fall medizinisches -Problem, wendet sich vertrauensvoll an Jesus – und schwupps, wird er geheilt.

So ist es allerdings nun mal nicht, hier und heute. Und ein „Vertrösten“ aufs Himmelreich, wo einmal keine Not und kein Leid mehr sein wird, so wie es uns in der Offenbarung versprochen wird, dieser Trost ist für die meisten akut Betroffenen auch nicht hilfreich.

Gar nicht reden sollte ich am besten von denjenigen, die fest davon überzeugt sind, dass Gott auch heute heilt – wenn man zu ihm betet. Und im Umkehrschluss bedeutet das dann, wenn man nicht geheilt wird, hat man nicht fest genug geglaubt oder gebetet. So funktioniert das nicht – das schafft für alle Betroffenen nur zusätzliche Schuldgefühle und neues Leid.

Im heutigen Evangelium sagt Jesus: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“.

Mit diesen Worten hat sich Jesus an seine Jünger gewandt, die das Schicksal jenes von Geburt an blinden Menschen nicht unberührt ließ. Die Jünger erlebten, sahen es mit eigenen Augen, wie Jesus in das Dunkel der Not trat und wie es für den Menschen, der sich nach dem Licht sehnte, hell wurde.

Und wer genau hingehört hat: Jesus sagt nicht „ich muss…“ sondern „wir müssen“. Ich gehe mal nicht davon aus, dass Jesus hier von sich selbst im Plural Majestatis spricht, zumal er ja wenige Worte später deutlich sagt „solange ICH in der Welt bin“.

Ich möchte diese Worte, „wir müssen… wirken“ viel mehr als Aufforderung verstehen, uns ein Beispiel an Jesus zu nehmen.
Nicht, dass wir alle plötzlich über heilende Kräfte verfügen. Aber dass wir sehr wohl unsere heil-bringenden Kräfte, das uns Mögliche dafür einsetzen, dass für andere, aber auch für uns selbst, unsere Welt ein bisschen lichter und heller wird, dass Hoffnungsknospen blühen in einer kalten Welt.

Amen.

© B. Vallendor, 2024

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.