PfarrbĂĽro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
Schwalbenweg 5
88213 Ravensburg
Tel. 0751-7912430
Fax 0751-7912440
E-Mail: Info-Dreifaltigkeit.RV@drs.de
2. Advent
Lesung: Bar 5, 1-9
Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir fĂĽr immer verleiht!
Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt!
Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.
Gott gibt dir fĂĽr immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht.
Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe! Schau nach Osten und sieh deine Kinder: Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt. Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat. Denn zu Fuß zogen sie fort von dir, weggetrieben von Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir, ehrenvoll getragen wie in einer königlichen Sänfte.
Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, sodass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann.
Wälder und duftende Bäume aller Art spenden Israel Schatten auf Gottes Geheiß.
Denn Gott fĂĽhrt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit; Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm.
Evangelium: Mk 14, 3-9
Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen zu Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl, zerbrach es und goss das Öl über sein Haupt. Einige aber wurden unwillig und sagten zueinander: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Und sie fuhren die Frau heftig an. Jesus aber sagte: Hört auf! Warum lasst ihr sie nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch und ihr könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht immer. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.
Predigt:
Liebe Christinnen und Christen!
Der goldfarbene Gürtel hängt lässig im Schaufenster. Drinnen, im Geschäft, ist lebhaftes Treiben:
in älterer Mann übergibt der Geschäftsführerin stolz eine große Tüte mit Männerkleidung.
2 jüngere Frauen stehen an einem Kleiderständer mit festlicher Garderobe.
Eine ältere Frau hat sich für einen blauen Winterpullover entschieden und bezahlt zufrieden an der Kasse. Von der Verkäuferin wird sie mit einem herzlichen „Bis bald!“ verabschiedet.
Alltag bei „Patchwork“ – im Kleidergeschäft in der Ravensburger Innenstadt – schräg gegenüber von der Liebfrauenkirche.
Nur wenige Meter entfernt steht die Ladentür offen: Eine Mutter mit Kinderwagen verlässt bepackt das Geschäft. Sie hat noch Kinderkleidung für die Winterzeit gefunden.
Auch das ist „Patchwork“: Der Kinderladen.
Es sind 2 ganz besondere Kleidergeschäfte in der Ravensburger Herrenstraße – Sozialkaufhäuser werden sie auch genannt. Auch die „Tafel“ in Ravensburg ist so ein Sozialkaufhaus.
Das primäre Ziel dieser Geschäfte ist nicht, einen möglichst großen finanziellen Gewinn zu erzielen. Stattdessen werden die Produkte möglichst preiswert weitergegeben, damit sich auch Menschen oder Familien mit einem geringeren Einkommen ihre Produkte leisten können. So wird auch ein Zeichen gegen unsere Wegwerfgesellschaft gesetzt und Müll reduziert.
„Patchwork“ in Ravensburg ist ungefähr vor 20 Jahren entstanden – mit einem klaren Ziel:
Gut gebrauchte Kleidung wird gespendet, Ehrenamtliche sortieren die Ware, sie beraten die Kundinnen und Kunden in den Geschäften und verkaufen die Ware zu einem günstigen Preis.
In beiden „Patchwork“-Läden arbeiten im Augenblick insgesamt 85 ehrenamtliche Frauen. In 22 Teams organisieren die Mitarbeiterinnen den 3-stündigen Dienst. Die Geschäftsführung ist darauf bedacht, dass alle Kunden und Kundinnen freundlich beraten und mit einer Haltung der Wertschätzung und Achtsamkeit bedient werden. Die Mitarbeiterinnen werden mit Fortbildungen und mit Gemeinschaftserlebnissen belohnt – aber eben nicht mit Geld!
Und weil sie alle auf eine Entlohnung verzichten, tragen diese Ehrenamtlichen maßgeblich dazu bei, dass „Patchwork“ im Jahr zwischen 40 000 und 50 000 Euro Gewinn erzielt – abzüglich aller Unkosten. Das erwirtschaftete Geld wird nicht auf ein Bankkonto eingezahlt, sondern jedes Jahr direkt an soziale Projekte – auch hier, in Ravensburg – weitergegeben.
„Erfreulicherweise kaufen auch viele junge Menschen ein, die Freude daran haben, so günstige und so gute Kleidung zu erwerben“
– erzählt mir die Geschäftsführerin mit einem zufriedenen Strahlen in ihrem Gesicht.
„Patchwork“ ist eine vom christlichen Ehrenamt getragene Einrichtung.
In unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart engagieren sich – laut Statistik der Diözese – insgesamt rund 170 000 ehrenamtliche Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer.
Dieses von Christinnen und Christen getragene Ehrenamt ist eine Fundgrube, wenn es um Kreativität und um Charismen geht.
Und das ist ganz im Sinne des Paulus, der in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth ĂĽber die Menschen in der Nachfolge Jesu schreibt:
„Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt.“ (1Kor 12,7)
Und diese ehrenamtlichen Dienste nützen nicht nur den christlichen Gemeinden, sondern auch unserer Stadt und unserer Gesellschaft. Und deshalb möchte ich mich heute bei allen diesen Christen und Christinnen im Ehrenamt für die Lebenszeit, die sie einsetzen, für ihre Phantasie und für ihr Durchhaltevermögen bedanken.
Ganz viele von ihnen tun ihre Dienste ohne lange darĂĽber zu reden und oft im Verborgenen. Und deshalb sind sie alle wie Hoffnungsknospen in unserer oft so kalten Welt.
Deshalb stehen stellvertretend für alle Christinnen und Christen im Ehrenamt in diesem Jahr die engagierten Frauen von „Patchwork“ in unserer wachsenden Krippe in der Dreifaltigkeitskirche. Ihr Dienst ist geprägt von einem guten und erfolgreichen ökumenischen Miteinander – und gelebtes Christsein – ganz im Sinne Jesu.
Sich selbstlos einsetzen und dabei nicht zuallererst den eigenen Vorteil im Blick haben, das tut auch die Frau, von der Markus im heutigen Evangeliumstext erzählt:
Ich nehme es vorweg:
Diese biblische Erzählung ist für mich ein Juwel innerhalb der neutestamentlichen Schriften – und zwar nicht nur deshalb, weil eine Frau ihre Liebe auf berührende Weise an Jesus verschenkt.
Diese Erzählung von der Salbung ist auch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sehr sich herausragende Frauen im Gefolge Jesu im Laufe der Zeit den Prioritäten der Männerwelt unterordnen mussten.
Jetzt aber zunächst zur biblischen Erzählung selber:
Markus erzählt von einem Essen in Betanien – in einem Dorf, das nur durch ein Tal von Jerusalem getrennt ist.
Die Verhaftung Jesu steht unmittelbar bevor.
Denn: Unserem Evangeliumstext gehen folgende Bibelverse unmittelbar voraus:
„Es war zwei Tage vor dem Pascha und dem Fest der Ungesäuerten Brote. Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten suchten nach einer Möglichkeit, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen, um ihn zu töten.“
(Mk 14, 1f)
Wir können also davon ausgehen, dass Jesus zum Zeitpunkt des Essens in Betanien bereits gewusst hat, dass sein Leben bald zu Ende sein wird.
Und das hat auch Simon gewusst, der zu diesem Essen eingeladen hat. Es ist Simon, der Aussätzige, wie Markus ihn nennt. Vermutlich ist er einer der Menschen gewesen, auf die Jesus offen zugegangen ist, obwohl Simon eine ansteckende Krankheit gehabt hat und deshalb aus der Gesellschaft ausgeschlossen war.
Jesus hat ihm ein StĂĽck LebensglĂĽck zurĂĽckgeschenkt, und aus Dankbarkeit oder Bewunderung hat er ihn vermutlich eingeladen.
Jesus, Simon und noch andere Männer liegen also um den Tisch. Sie essen und trinken.
Und dann kommt sie – mit einem Alabastergefäß.
Sie – das ist die „namenlose Frau“, wie sie in der Bibelwissenschaft immer wieder genannt wird.
In ihrem Alabastergefäß bringt sie echtes, kostbares Nardenöl mit – es ist das Öl der Reichen, und es gehörte damals in die Paläste der Könige. Ungefähr 300 Denare hat es gekostet. Das ist so viel gewesen wie der Jahreslohn eines einfachen Landarbeiters.
Die „namenlose Frau“ kommt und stellt sich schweigend an die Seite des Mannes, über dessen Schicksal die Mächtigen in der jüdischen Religion längst entschieden haben.
Und sie salbt ihn – seinen Kopf – wie einen König.
Offensichtlich fühlt sie sich berufen, dem Todeskandidaten Jesus noch einen letzten Liebesdienst zu erweisen: Und so wird sie zu einer Knospe der Hoffnung – in der jetzt einsam gewordenen, kalten Welt des Mannes aus Nazareth.
Die Theologin Anneliese Hecht deutet dieses Ereignis in Betanien als Zeichenhandlung einer Prophetin. Sie schreibt:
„Vielleicht sollte nach der Absicht des Evangelisten diese Salbung sogar als Königssalbung (Salbung des Kopfes! wertvolles Öl) verstanden werden, wie sie nach dem Alten Testament von Propheten durchgeführt wurde.“
(aus: Bettina Eltrop, Anneliese Hecht, Nur weil wir Frauen sind, Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1995, Seite 18)
Die „namenlose Frau“ lebt uns Christinnen und Christen vor, wie wir alle den Menschen begegnen könnten, die unsere Nähe und unsere Unterstützung brauchen: Ohne Angst und ohne lange zu fragen, was es kostet, oder welche Konsequenzen es hat, oder ob ein solches Handeln erlaubt ist.
Die „namenlose Frau“ bricht im heutigen Evangelium die gesellschaftlichen Tabus in ihrer Zeit:
Eine Frau tut das nicht: In eine Männerrunde eindringen - ungefragt – und dann noch mit einem prophetischen Zeichen!
Und die anwesenden Männer sind entsetzt – alle – alle außer Jesus!
Ganz offensichtlich ist er berührt von dieser liebe-vollen Geste. Und er spürt: Die Frau gibt alles – nicht nur, was sie hat, sondern was sie ist.
„Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie getan hat.“
„Amen, ich sage euch“ – mit dieser feierlichen Einleitung betont Jesus die Wichtigkeit seiner Worte.
Wie sehr muss diese Frau Jesus beeindruckt haben. Wie berĂĽhrend muss es fĂĽr ihn gewesen sein, was sie getan hat.
Und wir Christinnen und Christen sollen uns bis heute an sie erinnern.
Wie aber soll eine biblische Frau nicht vergessen werden, wenn keiner der 4 Evangelisten ihren Namen ĂĽberliefert?
Bei Johannes wird die „namenlose Frau“ später fälschlicherweise mit Maria, der Schwester des Lazarus identifiziert. (Joh 12, 1-8)
Und der Evangelist Lukas macht aus dieser beeindruckenden Frau in seinem späteren Evangelium eine Prostituierte, die Jesus auch nicht mehr den Kopf – so wie ursprünglich bei Markus – sondern die Füße salbt.
Nicht einmal der feierlich ausgesprochene Auftrag Jesu im Markus-Evangelium hat also die Namenlosigkeit dieser Frau verhindern können. Und im Laufe der Jahrhunderte ist sie hinter den vielen überlieferten Männernamen verblasst. Leider!
Liebe Christinnen und Christen!
Es muss ja kein goldfarbener GĂĽrtel sein.
Aber vielleicht finden Sie auch irgendwann ein schönes Kleidungsstück bei „Patchwork“.
Und dann begegnen Sie den ehrenamtlich tätigen Frauen dort, die im Sinne Jesu ihren Dienst tun und auf die unsere „namenlose Frau“ ganz sicher stolz wäre – wie auf alle anderen ehrenamtlichen Christinnen und Christen auch.
Amen.
© A. Böhm, 2024
HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.