Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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3. Advent
Lesung: Jes 66, 10-14
Freut euch mit Jerusalem und jauchzt in ihr alle, die ihr sie liebt! Jubelt mit ihr, alle, die ihr um sie trauert, auf dass ihr trinkt und satt werdet an der Brust ihrer Tröstungen, auf dass ihr schlürft und euch labt an der Brust ihrer Herrlichkeit! Denn so spricht der HERR: Siehe, wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und die Herrlichkeit der Nationen wie einen rauschenden Bach, auf dass ihr trinken könnt; auf der Hüfte werdet ihr getragen, auf Knien geschaukelt. Wie einen Mann, den seine Mutter tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost. Ihr werdet das sehen und euer Herz wird jubeln und eure Knochen werden sprossen wie frisches Grün. So offenbart sich die Hand des HERRN an seinen Knechten, aber er ergrimmt gegen seine Feinde.
Evangelium: Mk 12, 41-44
Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.
Predigt:
Liebe Christinnen und Christen,
„Was ist das Unverzichtbar-Christliche? –
das ist der Titel eines Buches – geschrieben von einer Frau, die mein theologisches Denken und meine Haltung als Seelsorgerin sehr geprägt hat und die sich Gedanken dazu gemacht hat, wie unser Christsein und unsere Kirche wieder mehr zum Blühen gebracht werden kann.
Gabriele Miller heißt diese Frau, und sie ist bis zu ihrem Tod im Jahre 2010 meine geschätzte Ratgeberin und mütterliche Freundin gewesen:
1923 ist sie im Kreis Göppingen geboren – hat Pädagogik studiert in Reutlingen – danach einige Zeit in Herlazhofen, hier im Kreis Ravensburg, als Lehrerin gearbeitet – bevor sie dann an der Universität Tübingen als eine der ersten Frauen überhaupt angefangen hat, katholische Theologie zu studieren - Abschluss 1954.
Ihren Plan zu promovieren konnte die ehrgeizige Theologin allerdings nie verwirklichen. Die Zulassung wurde ihr verweigert aus einem einzigen Grund: Sie war eine Frau.
Im Laufe ihres Lebens hat „die Millerin“ - wie sie in theologischen Kreisen auch schmunzelnd genannt wurde – zahlreiche pädagogische und theologische Schriften verfasst und herausgegeben. Und sie hat auch eine ganze Reihe theologische Bücher geschrieben.
Als Anerkennung für ihr wissenschaftliches Arbeiten als Theologin ist ihr im Jahre 1978 von der Katholischen Fakultät in Tübingen die Ehrendoktorwürde verliehen worden, und im Jahre 2006 hat sie das Bundesverdienstkreuz bekommen.
„Was ist das Unverzichtbar-Christliche!“ – aus diesem Buch von Gabriele Miller lese ich Ihnen jetzt einige Gedanken vor:
„…Christen versuchen nichts anderes, als sich dem Lebensstil Jesu anzunähern. … Denn die Welt ist den Menschen als Lebensraum gegeben und nicht dazu, dass er sie sinnlos zu eigenem Egoismus und Nutzen ausbeute. Wer sich einsetzt und sich nicht scheut, wird auch erkennen, wie seine Fähigkeiten wachsen. Und wenn Angst ihn beschleicht, dass die Aufgaben zu groß sind und seine Kräfte übersteigen, dann wird er sich in Erinnerung rufen, dass – nach dem Zeugnis der Bibel – Gott den Menschen nie fallen lässt. Man braucht also nicht vor Angst zu zittern und Angst vor der Angst zu haben. Es ist gut zu wissen, dass auch in den größten Ängsten Gottes Liebe größer ist als jede Angst der Menschen.“
(aus: Gabriele Miller, Was ist das Unverzichtbar-Christliche, Kösel-Verlag 2003, Seite 39)
„Was ist das Unverzichtbar-Christliche?“ – diese Frage scheint mir die entscheidende zu sein, wenn wir als christliche Gemeinden und als Römisch-Katholische Kirche Wege in die Zukunft suchen und wenn wir glaubwürdig und einflussreich in unserer heutigen Gesellschaft sein wollen. Und: Wenn unsere christliche Religion wieder neu aufblühen soll.
Im Denken der Theologin Gabriele Miller gelingt das immer dann, wenn wir uns an der Bibel orientieren und uns so dem Lebensstil Jesu immer mehr annähern – ohne Angst sondern mit dem Vertrauen in die göttlichen Kräfte – „…weil die Liebe Gottes größer ist als jede Angst.“
Ich habe Gabriele Miller nie ängstlich erlebt, und ich glaube: Sie hat einfach keine Angst gehabt – weder vor schwierigen Aufgaben, noch vor Auseinandersetzungen – und schon gar nicht vor den Mächtigen, vor den Bischöfen.
5 Jahre lang ist sie Vorsitzende der „Frauenkommission“ in unserer Diözese gewesen. Sie hat dafür gekämpft, dass Frauen in unserer Kirche wertgeschätzt und zu allen Weiheämtern zugelassen werden.
Unter ihrer Leitung hat ein internationaler theologischer Kongress zum Diakonat der Frau in Stuttgart-Hohenheim stattgefunden – mit dem Ergebnis: Die Zulassung von Frauen zur Weihe als Diakoninnen ist theologisch möglich. Die 1997 veröffentlichten wissenschaftlichen Ergebnisse dieses Kongresses sind von den deutschen Bischöfen nie ernst genommen und schon gar nicht weiterverfolgt worden.
Gabriele Miller hat sich als Theologin nie entmutigen lassen, und ich habe sie nie verbittert erlebt. Eine Kämpferin ist sie gewesen - klar in ihren Analysen, hartnäckig und ganz oft auch mit einem wissenden Schmunzeln in ihrem Gesicht.
Jetzt hören Sie die weise Theologin zum Thema „Priesterweihe für Frauen“ wörtlich:
„Ich erinnere mich noch sehr genau an die Situation, als mir die Frage „Frauenordination“ zum ersten Mal begegnete. Ich weiß noch, wie ich damals mit relativer Interesselosigkeit reagierte. Als ich aber die offiziellen Argumentationen hörte, bin ich fast ausgeflippt. Das sollen theologische Gründe sein! Ich weiß noch, dass ich mich von dem Moment an in die Debatte warf. Ich argumentierte sehr schnell: Welche Gründe auch immer das sind, es sind ganz sicher keine theologischen!
Zu der Frage habe ich einmal mit unserem Weihbischof Bernhard Rieger einen kleinen Disput gehabt. Er hat, wie auch alle anderen (Männer), mit den zwölf Aposteln argumentiert, also müsse man das respektieren. Darauf sagte ich: „…Wir haben zwar inzwischen gelernt, wie man mit der Bibel umzugehen hat. Doch an dieser Stelle, bei dieser Frage, ist offensichtlich der Text ganz wörtlich zu nehmen. ….Aber…..dann frage ich Sie, warum sind Sie eigentlich nicht verheiratet und warum haben Sie keinen Normal-Beruf. Ich frage ja nicht gerade, warum Sie nicht Fischer auf dem See Gennesareth sind!“ Ich weiß noch, wie der Weihbischof sich umdrehte und mit jemand anderem sich zu unterhalten anfing.“
(aus: Reinhold Boschki, Monika Scheidler, Wahrheit ist biographisch, Schwabenverlag 2002, Seite 131)
Was ist das Unverzichtbar-Christliche –
Gabriele Miller hat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass die Bibel niemals wörtlich ausgelegt werde darf und dass die Erkenntnisse der theologischen Forschung auch vom Lehramt unserer Katholischen Kirche ernst genommen werden müssen – anstatt die Forschenden mit Sanktionen zu belegen. Hans Küng oder Eugen Drewermann sind bekannte Beispiele für ein solchen Verhalten der Amtskirche in der Vergangenheit.
Orientiert an den wissenschaftlich ausgelegten biblischen Schriften gilt es also für uns Christinnen und Christen, dass wir uns immer mehr den Lebensideen Jesu annähern und dann dazu beitragen, dass der Himmel in unserer Welt blüht.
Im Evangelium, das Sie vorher gehört haben, begegnet uns dieser Mann aus Nazareth, und er erzählt seinen Jüngerinnen und Jüngern von einer armen Witwe und vom Opferkasten im Tempel.
Alle Männer und Frauen, die sich damals als glaubende Menschen verstanden haben, sind regelmäßig zu diesem Opferkasten gekommen und haben dort ihre Spende für die Bedürftigen eingeworfen.
Dieser Opferkasten ist öffentlich zugänglich gewesen. Und deshalb konnte Jesus – aber auch alle Neugierigen – sehen, wer wieviel Geld gespendet hat. Es ist also für Reiche eine gute Gelegenheit gewesen, öffentlich zu zeigen, wie großzügig und wie rechtgläubig sie doch waren.
Genau hier aber setzt die Kritik Jesu an: Er stellt klar, wer im Sinne Gottes handelt und wer nicht. Die Schriftgelehrten – also die Experten, wenn es um Gott geht - sind es in den Augen Jesu ganz sicher nicht, denn:
Unmittelbar vor unserem heutigen Evangeliumstext warnt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger vor ihnen, und er sagt:
„Nehmt euch in acht vor den Schriftgelehrten. Sie gehen gern in langen Gewändern umher…… . Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete.“
(Mk 12, 38b-40a)
Jesus durchschaut diese angeblich so frommen Männer, und er ist beeindruckt von der Großzügigkeit der mittellosen alten Frau.
Jesus sieht: Diese Witwe am Opferkasten gibt alles, was vor Gott zählt: Sie verschenkt ihre Liebe.
In den Augen Jesu fängt also der Himmel ganz offensichtlich in unserer Welt überall dort an zu blühen, wo wir Christinnen und Christen mit wachen Augen und mit weitem Herzen die Not der Menschen sehen und dann solidarisch handeln – wie die Witwe: Voller Liebe.
Liebe Gemeinde,
unsere Kirche kann ihre Glaubwürdigkeit nur dann zurückgewinnen und in unserer Gesellschaft neu zum Blühen kommen, wenn sie sich wieder darauf besinnt, das Unverzichtbar-Christliche zu verkünden und wenn sie endlich Reformen wagt. Dann blüht unsere Kirche wieder - und auch unsere Gesellschaft, weil sie mit unseren christlichen Werten menschlicher wird.
Die Beauftragung für nicht geweihte Theologen und Theologinnen zur Spendung des Sakraments der Taufe ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung kirchliche Reformen.
Und diesen Reform-Schritt und den Mut unseres Alt-Bischofs feiern wir heute hier, in unserer Dreifaltigkeitsgemeinde: Alt-Bischof Fürst hat diese Entscheidung für seine Diözese getroffen – fast als einziger Bischof bisher in der Deutschen Bischofskonferenz.
Mit dieser Entscheidung hat er Kirchengeschichte geschrieben, und seine Entscheidung ist ganz sicher im Sinne von Gabriele Miller.
Sie soll jetzt mit ihrer Spiritualität das Schlusswort haben:
„Gott suchen im Alltag,
in den kleinen Ereignissen.
….
Nicht unnötig herumsitzen und hoffen,
dass das große Wunder vom Himmel fällt.
….
Sich einsetzen und doch: immer wieder loslassen!
Und leise stottern:
„Mir geschehe, wie du gesagt.“
(aus: Gabriele Miller, Ob du mich hörst? Kösel-Verlag 2000, Seite 110-111)
Amen.
© A. Böhm, 2023