Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

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Ravensburg West
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2. Advent

Lesung: 2 Petr 3, 8-14

Dies eine aber, Geliebte, soll euch nicht verborgen bleiben,
dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind.
Der Herr der Verheißung zögert nicht, wie einige meinen, die von Verzögerung reden, sondern er ist geduldig mit euch, weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht,
sondern dass alle zur Umkehr gelangen.
Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb.
Dann werden die Himmel mit Geprassel vergehen, die Elemente sich in Feuer auflösen und die Erde und die Werke auf ihr wird man nicht mehr finden.
Wenn sich das alles in dieser Weise auflöst: Wie heilig und fromm müsst ihr dann leben, die Ankunft des Tages Gottes erwarten und beschleunigen!
An jenem Tag werden die Himmel in Flammen aufgehen
und die Elemente im Feuer zerschmelzen.
Wir erwarten gemäß seiner Verheißung einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt.
Deswegen, Geliebte, die ihr dies erwartet, bemüht euch darum, von ihm ohne Makel und Fehler in Frieden angetroffen zu werden!

 

Evangelium: Mt 5, 13-16

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz fade wird, womit sollen wir salzen? Es ist völlig unbrauchbar geworden, wird weggeworfen und von den Leuten zertreten.

Ihr seid das Licht der Welt. Die Stadt hoch auf dem Berg kann sich nicht verstecken. Niemand zündet ein Licht an und stellt es dann unter einen Krug. Es wird vielmehr auf den Leuchter gesetzt. Dann leuchtet es für alle, die im Haus sind. So soll auch euer Licht den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Gott im Himmel loben.

 

Predigt

Wir erwarten gemäß seiner Verheißung einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt.

Liebe Schwestern und Brüder,

dieser Satz aus der Lesung lässt mich innehalten und träumen. Eine neue Erde, in der Gerechtigkeit wohnt. Eine Welt, in der Menschen so befriedet sind, ihre Grundbedürfnisse so erfüllt sind, dass sie zu-frieden, in Frieden leben können. Eine Erde, in der der Himmel Wurzeln schlägt und das Leben sichtbar blüht.

 

Eine neue Erde – nein, das ist nicht nur ein Traum, das ist Verheißung!

Göttliche, christologische Verheißung!

Eine neue Erde – darauf darf ich wirklich warten und hoffen.

Im griechischen Urtext wird an dieser Stelle für „neu“ das Wort „kainos“ verwendet. Das heißt: es ist nicht so, dass das eine wegmuss und das neue kommen kann – das wäre das Wort „neos“. „kainos“ bedeutet: das, was schon da ist, wird weiterentwickelt, verwandelt, erneuert. Aus dem, was ist, wächst und blüht Neues hervor.

Aber zurück zur Erde: Wie soll das gehen?

Die Menschen zu der Zeit nach Jesus erwarten die neue Erde dadurch, dass Jesus als Christus wiederkommt und die Erneuerung bewirkt.

Die dritte Generation nach Jesu Leben wird allerdings langsam ungeduldig und fragt nach. Der Briefeschreiber, der sich hier Petrus nennt, liefert die Erklärung, dass Gottes Uhren eben anders gehen. Die Aufgabe der NachfolgerInnen Jesu ist und bleibt: Welt gestalten. Frohe Botschaft leben – ich sage: im Auftrag Jesu „neu“ machen.

Diesen Auftrag gibt Jesus in der Bergpredigt, seiner großen programmatische Rede darüber, wie Reich Gottes in der Welt aufblühen soll. Er sagt und ruft uns im Evangelium zu:  Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt!

Das heißt:

Ich und Du haben den Auftrag, daran mitzuwirken, dass Leben nicht fad, eintönig und hoffnungslos wird.

Du und ich haben den Auftrag, Licht dahin zu bringen, wo es dunkel ist.

Jede Christin, jeder Christ, jeder Mensch hat den Auftrag, Welt zu gestalten und etwas zum Blühen zu bringen.

Liebe Adventsgemeinde!

Wie gut, dass es Menschen gibt, die das tun.

Ich stelle Ihnen heute in unserer Predigtreihe exemplarisch 2 Menschen vor, die etwas zum Blühen bringen, wo Viele nur Wüste sehen.

Da ist die Palästinenserin Jouanna Hassoun und der aus Israel stammende Jude Shai Hoffmann. Seit 2017 arbeiten sie zusammen und drehen Israel-Palästina-Bildungsvideos. Sie gehen in Schulen, schaffen einen Raum und ermutigen dazu, über Gräben zu reden, die da sind, emotionsgeladen sind und damit nur ganz schwer oder gar nicht besprechbar scheinen. Sie laden Kinder und Jugendliche ein, ins Welthaus Israel und Nahost zu kommen. Sie ermutigen, nicht starr und vor Schreck wie versteinert sitzen zu bleiben, sondern in Bewegung zu kommen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, vielleicht sogar von einer Perspektive zur anderen zu tanzen, die einzelnen Menschen in Blick zu nehmen, die einzelnen Lebenskreise nachzuziehen, die Konflikte differenziert zu spüren und damit – bildlich gesprochen – ein Haus zu bauen, das beschützt und ein Stück Himmel aufblühen lässt.

 

Ich lade sie ein, miteinander die 2. Strophe des Liedes „Komm, bau ein Haus, das uns beschützt“ zu singen. (K258,2)

            Komm, bau ein Haus, das uns beschützt,

            pflanz einen Baum, der Schatten wirft

            und beschreibe den Himmel, der uns blüht.

 

            Lad viele Kinder ein ins Haus,

            versammle sie bei unserm Baum,

lass sie dort fröhlich tanzen,

wo keiner ihre Kreise stört.

 

Liebe Mitchristen,

… und beschreibe den Himmel, der uns blüht.“ Wenn das so einfach wäre. Der ganze Nahostkonflikt ist eine lange Geschichte von Erfahrungen, Erzählungen, Verletzungen, Ungerechtigkeiten und Befindlichkeiten auf beiden Seiten. Sowohl Jouanna Hassoun als auch Shai Hoffmann haben das in ihrer Lebensgeschichte erlebt. Jouanna ist als palästinensisches Flüchtlingskind im Libanon geboren, wächst die ersten 6 Jahre ihres Lebens im Krieg auf, mit 6 Jahren kommt sie mit Mutter und Bruder nach Deutschland, bekommt mit 18 Jahren schließlich ein Aufenthaltsrecht. Nach einer Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation studiert sie und engagiert sich sozial. Sie gründet den interkulturellen Mädchentreff und setzt sich in einem Bildungsverein für humanitäre Hilfe ein. Sie hinterfragt – als Palästinenserin - die von palästinensicher Seite geprägte Spreche über Israel, will verstehen, was da los ist, beschäftigt sich mit Judentum und Israel und ruft 2017 zusammen mit Shai Hoffmann und Anderen das Projekt „Make Humans Not Walls“ ins Leben.

 

Shai Hoffmann war als Jude in Berlin aufgewachsen, macht eine Lehre als Hotelfachmann und ist Schauspieler. Als 2017 bei der Bundestagswahl die AfD kurz vor dem Einzug in den Bundestag steht, ist das für ihn ein Signal sich mehr in die Gesellschaft einzubringen. Er gründet den „Bus der Begegnung“. Die Menschen zu fragen, was sie bewegt und vor was sie sich fürchten, ist der Anfang vieler Begegnungsprojekte. Als Israel 2018 das Nationalstaatsgesetz verabschiedet, das festlegt, dass das Land nur dem jüdischen Volk gehört und Arabisch nicht mehr die zweite Amtssprache sein darf, stellt er sich dem entgegen, indem er Bildungsmaterialien für den Nahostkonflikt erstellt – zusammen mit Jouanna Hassoun. Seither sind die Beiden in Schulen unterwegs und seit dem 7. Oktober, dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel, gefragt wie nie. Wie so Viele, erleben sie es als extrem schwierig, über den Nahostkonflikt zu reden, weil alles mit so vielen Emotionen besetzt ist. Und genau dort setzen sie an. Durch ihr Dasein in den Schulen schaffen sie einen Raum, dass Kinder und vor allem Jugendliche erst einmal ihre Gefühle artikulieren können. Die Beiden hören zu, halten das aus, und fragen nach: was genau kritisiert ihr an Israel? Was hat das mit dem Judentum zu tun? Was wisst ihr von palästinensischen Lebensbedingungen und deren verschiedenen politischen Strömungen bis hin zur radikalisierten Hamas? Wie können wir trotz des Nahostkonflikts in Deutschland gut zusammenleben? Sie sagen im Interview: „So kommen wir ins Gespräch. Für diese Prozesse gibt es sonst wenig Raum. Und so landen die Jugendlichen mit ihrer Wut, ihrer Verzweiflung, ihrem Unwissen auf der Straße oder radikalisieren sich.“ Und weiter: „Wir wollen den Jugendlichen vermitteln, dass sie ein Recht auf ihre Gefühle haben, aber kein Recht, anderen Menschen damit zu schaden“.

So sehe ich die Beiden als Licht in dieser verzwickten, von viel Dunkelheit und Leid geprägten Geschichte. Auf die Frage, was sie denn erreichen können, sagen sie: wir haben viel gewonnen, wenn wir Verständnis wecken für die verschiedenen Perspektiven und Empathie für die Menschen, die diese Perspektiven haben. Das schlimmste, was jetzt passieren kann, ist, dass wir unsere Menschlichkeit verlieren. Es geht darum, den Menschen als Menschen zu sehen.“ Diese Aussage und geradezu Bekenntnis der Beiden erinnert mich an die Antwort der 102-jährigen Jüdin Margot Friedländer, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat. Auf die Frage von Bundespräsident Frank-Walter Steinmaier am 9. November, welche Botschaft sie für die Zukunft habe, antwortet sie: „Seid Menschen“.

Ja, um Mensch-Sein, um Mensch-Werdung geht es, wenn unser Erdenhaus himmlisch aufblühen soll. „So nehmet euch eins um das Andere an“, haben wir im Eingangslied zum 2. Advent gesungen. Wer als Mensch fühlt, zuhört, redet und handelt, wird etwas „neu“ machen zu der Zeit und an dem Ort, an dem er lebt. Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann sind Beispiele dafür. Sie verwirklichen etwas von dem, was Jesus aufträgt: seid Salz und Licht der Erde.

Heute Abend findet in Ravensburg um 19 Uhr ein Friedensgebet aus Anlass des 75. Jahrtags der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN-Vollversammlung statt. Darin werden erstmalig die grundlegenden Rechte und Freiheiten aller Menschen allgemein anerkannt. Wie schön, dass sich auch in unserer Stadt Menschen fürs Menschsein engagieren. Ein Beispiel von Vielen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Zusammengefasst finde ich das alles auch in einem Cartoon, der vor einiger Zeit durch die WhatsApp-Statuse ging: wird ein Kind gefragt, ob es bei ihm in der Schule auch Christen, Juden und Muslime gebe. Es antwortet: bei uns an der Schule gibt es nur Kinder.

Das macht Hoffnung. Damit beginnt ein Stück neue Erde, auf der der Mensch zuerst Mensch ist, auf der die Grundbedürfnisse aller Menschen be-friedet werden, auf der Gerechtigkeit wohnt, auf der Himmel blüht.

Amen.

© G. Geier, 2023