Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

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1. Advent - Mahatma Ghandi

Lesung: Jes 11, 1-10

An jenem Tag wächst aus dem Baumstumpf Ísais ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.
Der Geist des Herrn ruht auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.
Und er hat sein Wohlgefallen an der Furcht des Herrn. Er richtet nicht nach dem Augenschein und nach dem Hörensagen entscheidet er nicht, sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen.
Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften und die Treue der Gürtel um seine Lenden.
Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie.
Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind.
Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus.
Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie die Wasser das Meer bedecken.
An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Ísais sein, der dasteht als Feldzeichen für die Völker; die Nationen werden nach ihm fragen und seine Ruhe wird herrlich sein.

 

Evangelium: Mt 5, 1-10

Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm. Und er öffnete seinen Mund, er lehrte sie und sprach: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.

 

Predigt

Liebe Christinnen und Christen,

im Februar sind wir alle überrascht worden durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

=> Plötzlich ist unsägliches Leid ganz nahe. In den Nachrichten wird die heimtückische Kriegsstrategie Russlands beschrieben, die darauf abzielt, ganz Europa durch riesige Flüchtlingsströme aus der Ukraine zu destabilisieren.

=>  Die Auswirkungen dieses verbrecherischen Angriffs haben wir alle zu spüren bekommen. Und das wird noch eine Zeit lang so weitergehen.

=> Durch diese Situation sind wir hier im Pastoralteam auf die Idee gestoßen worden, dass wir das Thema „Dein Friede kommt nicht durch Gewalt“ in unserer Predigtreihe angehen wollen.

=> Sie sind es ja schon gewohnt, dass Sie an den kommenden vier Sonntagen mit Situationen aus der Bibel und mit Personen konfrontiert werden. Das wird auch dieses Jahr wieder so sein.

„… wollt ihr den totalen Krieg?“

Am 02. Februar 1943 kapituliert die 6. Deutsche Armee in Stalingrad.

Eine halbe Million Russen und 150.000 deutsche Soldaten sind gestorben. Weitere 100.000 deutsche Soldaten werden gefangengenommen. Stalingrad markiert den Anfang vom Ende dieses Krieges.

=> Am 18. Februar 1943 hält der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, unter dem Eindruck der vernichtenden Niederlage von Stalingrad, eine fast zweistündige Rede in Berlin. Fast das ganze Kabinett ist anwesend. => Es sind ca. 15.000 Gauleiter, Intellektuelle, die die Richtung des Nationalsozialismus gut finden, und ausgewählte Schauspieler versammelt. Die "beifälligen Reaktionen der bekannten Persönlichkeiten werden durch die Filmkameras über die Wochenschauen dem zweifelnden Volk gezeigt.

=> Gegen Schluss peitscht Goebbels dann die Menge hoch mit der Frage:

=> "Wollt ihr den totalen Krieg?", die 15.000 springen auf von ihren Sitzen und schreien begeistert: "Ja!"

Und Goebbels dann weiter: "Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?" Und wieder tobt der Saal - Szenen exzessiver Massenhysterie!

=> Joseph Goebbels ist ein begnadeter Demagoge, der sein Charisma dafür nutzt, die Kapitulation der Deutschen Armee bei Stalingrad, als heldenhafte Niederlage zu deklarieren.

=> Diese Niederlage fordert eine adäquate Antwort durch das deutsche Volk: den totalen Krieg.

=> Es folgt die Generalmobilmachung, durch die alle verfügbaren Jugendlichen und Männer zum Kriegsdienst verpflichtet werden ohne Rücksicht auf eine evtl. Unabkömmlichkeit.

5 Selig die Sanftmütigen; / denn sie werden das Land erben. 6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; / denn sie werden gesättigt werden. 7 Selig die Barmherzigen; / denn sie werden Erbarmen finden. …

9 Selig, die Frieden stiften; / denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.

=> Ich frage mich, wie es sein kann, dass da alle jubeln, wenn es hier um den totalen Krieg geht…

Ich nehme an, dass da auch viele Christinnen und Christen bei der Rede versammelt waren.

Kennen die alle die Bergpredigt nicht?

=> Der Evangelist Matthäus komponiert aus überlieferten Jesusworten die Bergpredigt.

=> Jesus kann offensichtlich zu seiner Zeit mit seinem Charisma die Menschen motivieren, sich für den totalen Frieden einzusetzen.

Bei ihm geht es um Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden!

=> Viele Frauen und Männer lassen sich überzeugen: Das ist in der Zeit die neue Art, politisch zu handeln mit den Möglichkeiten der einfachen Leute!

=> Jesus ist mit seiner Botschaft und seiner Lebensführung höchst politisch, weil sie die selbstverständlichen Unterdrückungsmechanismen und - werkzeuge der Mächtigen angreift.

=> Auch bei dieser Szene in der Bergpredigt jubeln Menschen. Sie haben sich dem Jesus aus Nazareth angeschlossen oder werden das noch tun.

=> Sie haben sich überzeugen lassen, dass sich durch diese politische Neuausrichtung die ungerechten Verhältnisse verändern werden.

„Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“

=> Gewaltfreiheit heißt nicht, dass sich die Menschen aus der Gesellschaft zurückziehen und sich nicht in die Politik einmischen.

=> Das Beispiel Jesu hat eine gewaltige Wirkungsgeschichte entfaltet. Viele Frauen und Männer haben sich durch sein Beispiel inspirieren lassen.

=> Manche davon tauchen im Heiligenkalender auf wie z.B. Franz von Assisi, Theresa von Avila, Edith Stein, Maximilian Kolbe.

=> Aber auch der ev. Theologe Dietrich Bonhoeffer. Er ist bei uns bekannt durch sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Bonhoeffer war beseelt vom Beispiel Jesu und er ist wegen seiner klaren Haltung gegen den Nationalsozialismus kurz vor Ende des Krieges von den Nazis hingerichtet worden.

=> Jesus von Nazareth war zu seiner Zeit eine Bedrohung für die Mächtigen und er ist es bis zum heutigen Tag.

=> Spannend ist, dass dieses Beispiel Jesu auch Menschen aus einem ganz anderen Kulturkreis inspiriert hat. 

=> Im Jahr 1930 verändert der sog. „Salzmarsch“ von Mahatma Gandhi die Landkarte Indiens.

=> Indien ist zu dieser Zeit britische Kolonie. Die Kolonialherren haben das Monopol auf die Salzgewinnung in Indien. Auf das Salz wird eine hohe Steuer erhoben.

=> Die Armen können sich Salz nicht leisten, obwohl es in Indien gewonnen wird.

=> Gegen diese Ungerechtigkeit richtet sich der gewaltfreie Salzmarsch von Mahatma Gandhi.

Ihm und seinen Anhängern ist bewusst, dass sie mit diesem Protest ihr Leben riskieren.

=> Aber durch diesen gewaltfreien Protest wird die Kolonialmacht zunächst gezwungen, dieses Salzmonopol aufzugeben.

=> 17 Jahre später wird das Land schließlich durch die gewaltfreien Aktionen von Mahatma Gandhi in die Unabhängigkeit entlassen.

=> Die, die das gewaltfrei erkämpft haben, sind überwiegend Hindus.

=> Mahatma Gandhi selbst hat sich durch die Seligpreisungen der Bergpredigt zu seinem gewaltfreien Wiederstand inspirieren lassen.

=> Auch hier: Die Botschaft und die Gestalt des Jesus von Nazareth ist höchst politisch und findet auch außerhalb der christlichen Religion Anwendung.

„Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“

=> Ist Mahatma Gandhi also auch ein Kind Gottes im Sinne des Evangeliums? – Selbstverständlich!

=> In Europa haben im vergangenen Jahrhundert zwei Weltkriege die Ländergrenzen immer wieder verschoben.

=> In Asien bahnt sich das Ende der britischen Vorherrschaft an mit der Unabhängigkeitserklärung mancher Länder von der Kolonialherrschaft.

=> In Europa entsteht unsägliches Leid durch die zwei Weltkriege.

=> In Indien bewirken letztlich gewaltfreie Aktionen die Beendigung der Kolonialherrschaft. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist das nur eine kleine Gruppe von Menschen.

„Dein Friede kommt nicht durch Gewalt.“

=> Unser Thema formuliert eine tiefe Wahrheit des christlichen Wertekataloges: Wirklicher Friede kann nicht mit Gewalt hergestellt werden.

=>  Friede lebt und wächst in den Herzen der Menschen. Und wenn das nicht wirklich aus ganzem Herzen gewollt ist, dann gibt es diesen Frieden auch nicht!

Ukraine und Russland – in wie vielen Herzen wohnt dort inzwischen Hass und das Verlangen nach Vergeltung?

=>  Jesaja hat eine Vorstellung, wie wahrer, totaler Friede aussehen könnte.

Aber dieser Friede wird von Gott gewirkt.

Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn

=> Ganz offensichtlich fehlt bei uns, dass das Land von der Erkenntnis des Herrn erfüllt ist.

Jesaja zeigt mit seinem Bild vom Tierfrieden auf, wie der totale Friede aussehen könnte.

=> Da sind alle Menschen, eben das ganze Land, erfüllt von der Erkenntnis des Herrn.

=> Die Menschen wissen, dass sie ihre Existenz allein Gott verdanken. Die ganze Schöpfung, dieser ganze Planet, ja das ganze Universum bezeugt die Größe und Unfassbarkeit Gottes.

=> Aufgrund dieses Wissens, dieser Ahnung, die alle Menschen erfasst, entsteht dieser totale Friede!

=> Leider sind viele, heute regierende Machthaber, in den unterschiedlichsten Regionen unseres Planeten, nicht erfüllt von dieser Erkenntnis, dass Gott der Urheber des Universums ist. Sie sind nicht daran interessiert, sich an den Ideen Gottes für die Erde zu orientieren. Und sie wissen sich auch nicht verantwortlich vor Gott!!

=> In der Bergpredigt fasst Jesus zusammen, was er mit seiner Botschaft bei den Menschen bewirken will:

Alle Menschen sollen in Frieden, Freiheit und Glück leben können.

Das ist das Ziel.

Aber ganz sicher wird dieses Ziel nicht mit Gewalt erreicht.

Ist dann der Friede, wie ihn Gott wirken will, also bloß eine Illusion?

Es lohnt sicher, wenn Sie darüber einmal nachdenken.

Amen.

© R. Hübschle 2022

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.