Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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Weihnachten
Lesung: Jes 19,17-18a. 19-25
Das Land Juda wird für Ägypten zum Schrecken werden. Sooft man Judas Namen erwähnt, erschrickt Ägypten vor dem Plan, den der Herr der Heere gegen Ägypten gefasst hat. An jenem Tag werden fünf Städte in Ägypten die Sprache Kanaans sprechen und beim Herrn der Heere schwören. (...) An jenem Tag wird es für den Herrn mitten in Ägypten einen Altar geben, und an Ägyptens Grenze wird ein Steinmal für den Herrn aufgestellt. Das wird ein Zeichen und Zeugnis für den Herrn der Heere in Ägypten sein: Wenn sie beim Herrn gegen ihre Unterdrücker Klage erheben, wird er ihnen einen Retter schicken, der für sie kämpft und sie befreit. Der Herr wird sich den Ägyptern offenbaren, und die Ägypter werden an jenem Tag den Herrn erkennen; sie werden ihm Schlachtopfer und Speiseopfer darbringen, sie werden dem Herrn Gelübde ablegen und sie auch erfüllen. Der Herr wird die Ägypter zwar schlagen, er wird sie aber auch heilen: Wenn sie zum Herrn umkehren, lässt er sich durch ihre Bitte erweichen und heilt sie. An jenem Tag wird eine Straße von Ägypten nach Assur führen, so dass die Assyrer nach Ägypten und die Ägypter nach Assur ziehen können. Und Ägypten wird zusammen mit Assur (dem Herrn) dienen. An jenem Tag wird Israel als drittes dem Bund von Ägypten und Assur beitreten, zum Segen für die ganze Erde. Denn der Herr der Heere wird sie segnen und sagen: Gesegnet ist Ägypten, mein Volk, und Assur, das Werk meiner Hände, und Israel, mein Erbbesitz.
Evangelium: Joh 1,1-5.9-14
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes.
Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.
Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Predigt
Liebe Christinnen und Christen,
Denk-Mal! – Gott bricht auf!
An vier Sonntagen im Advent haben wir uns mit diesem Thema beschäftigt.
=> Weltweite Organisationen wie Amnesty international und Ärzte ohne Grenzen haben wir in den Blick genommen, genauso wie „Project together“ und den Verein für Frauen und Kinder in Not hier aus Ravensburg.
=> Wir wollten ihnen ein Denkmal setzen – jeweils mit einem Ausrufezeichen: ja – denk mal darüber nach, dass auch Menschen, die nicht im Vordergrund eine christliche Motivation haben, sich für das Wohl anderer Menschen ganz selbstverständlich einsetzen. Manchmal unter Einsatz ihres Lebens!
Denk-Mal! – Gott bricht auf!
Ein denk-würdiges Thema.
=> Heute, an Weihnachten, nehme ich noch einmal gleich drei Organisationen in den Blick, die weltweit aktiv sind:
Das ist das Judentum, das Christentum und der Islam.
=> Hier in unseren Kirchen steht die Weihnachtskrippe, der Stall von Bethlehem.
=> Dieses Ereignis der Menschwerdung unseres Gottes, ist bis heute der Grund, warum wir Gott in der Geschichte des Volkes Israel immer wieder neu entdecken können. Diese Geschichte ist in der Bibel bezeugt in zahlreichen Erzählungen.
=> Diese Szene in der Krippe nimmt uns hinein in das theologische Geschehen der Heiligen Nacht dort in Betlehem.
=> Die Geburt eines Kindes- eigentlich ganz normal in unserer Welt und doch so außergewöhnlich.
=> Bethlehem – die Bilder, die uns von dort erreichen sind überaus traurig. Leere Gassen, leere Kirche – keine Touristen – eingeschränkte Feiern – Corona beherrscht auch in diesem Jahr dort die Szenerie.
=> Wie viele Menschen sind dort wohl am Verzweifeln, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren können. Schon das zweite Jahr keine Touristen!
=> Und dann diese dauernde Bedrohung durch fanatische Muslime oder Juden, die sich gegenseitig das Verderben wünschen.
=> Alle, weder Juden, noch Muslime und auch die Christinnen und Christen, haben keine Lebensperspektiven in dieser Situation, weil es keinen Frieden gibt. Die Politik ist seit Jahrzehnten unfähig, Reglungen zu finden, die alle miteinander leben lassen.
=> Ich frage mich wie das gehen soll, das es Frieden gibt, wenn
ein auserwähltes Volk,
ein alleinseligmachendes Christentum und
ein alleingültiger Islam
an ein und demselben Ort, nämlich in Jerusalem meinen, dass dieser Ort nur ihnen gehört?
=> Offensichtlich ist es doch so, wo diese drei großen Organisationen bzw. Religionen aufeinandertreffen, da gibt es kaum Kompromisse.
=> Obwohl alle drei sich in der Grundlage ihrer Theologien auf das Erste Testament berufen, bzw. auf dort aktiv handelnde Protagonisten wie z.B. den Propheten Jesaja.
=> Drei große globale Organisationen, die alle drei für sich reklamieren, dass ihr Gott der wahre Gott sei!!
=> Wie geht das zusammen?
=> Was ist die Wahrheit?
=> In der Vorbereitung auf diese Predigt zu Weihnachten ist mir dieser Text aus der Bibel in die Hände gefallen, den Sie als Lesungstext gehört haben. => Sicher haben Sie es gemerkt: nach Auskunft des Propheten Jesaja denkt Gott ganz anders!
Der Text ist in unserer Leseordnung nicht vorgesehen.
=> Er ist für mich aber ein Schlüsseltext für diese theologische Auseinandersetzung zwischen den drei großen monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam.
=> Er steht in der Bibel. Damit gilt auch dieser Text als geoffenbartes Wort Gottes!
=> Dieser Abschnitt aus dem 1. Teil des Jesajabuches enthält für mich eine der wichtigsten Verheißungen der ganzen Bibel.
=> Ich meine sogar, dass er der Schlüssel sein könnte, um die theologischen und politischen Streitigkeiten zwischen den drei großen Religionen, zu beenden.
=> Unser Text ist der Schluss des 19. Kapitels des Jesaja-Buches.
Da will ich heute mit Ihnen etwas genauer hinschauen:
=> Zunächst geht es politisch um Israel und um Ägypten im 8. Jahrhundert vor Christus. Die beiden Länder sind Todfeinde, denn Ägypten ist das Land der Unterdrückung.
=> Und es geht um Assur, den schrecklichen Aggressor, der im 8. Jahrhundert vor Christus ganz Palästina verwüstet hat.
=> Israel ist das kleine Land zwischen den beiden Großmächten.
=> Der Lesungstext ist die Vision von dem, was Gott mit diesen drei Nationen vorhat.
=> Aber die Nationen stehen für viel mehr als nur für Israel, Ägypten und Assur:
=> Die aufgeführten Nationen sind Symbole für alle miteinander verfeindeten Völker und Religionen schlechthin.
=> In Israel stellt man sich die Zukunft so vor:
Am Ende der Tage werden alle zum Zion kommen, sich alle zu Israel bekehren und mit Israel zusammen Gott auf dem Zion anbeten. Die Stadt Jerusalem ist auf dem Zion gebaut worden. Jerusalem ist die Stadt Gottes!
=> Bei den Christen ist das so ähnlich - nur unter anderen Vorzeichen:
=> die Christen meinen, dass sich am Ende alle zum Christentum bekehren werden und dann werden sie alle gemeinsam ganz friedlich Gott entgegengehen.
=> Gott hat da aber ganz andere Ideen:
Bei Jesaja heißt es:
"An jenem Tag werden fünf Städte in Ägypten die Sprache Kanaans sprechen und beim Herrn der Heere schwören. (...) An jenem Tag wird es für den Herrn mitten in Ägypten einen Altar geben, und an Ägyptens Grenze wird ein Steinmal für den Herrn aufgestellt."
=> Mitten in Ägypten!
Da ist nicht vom Zion die Rede! Und es gibt keine Vermittlung durch Israel!
=> Die Vision des Jesaja besagt, dass die Menschen in Ägypten damit beginnen, auf ihre eigene Weise den einen Gott zu erkennen und ihn zu verehren!
Unvorstellbar!!
=> Israel sagt: das ist völlig unmöglich, die müssen doch zuerst sich zum Judentum bekehren. Dort ist das Heil.
=> Die Christen sagen: das geht doch gar nicht!
Die müssen doch zuerst getauft werden. Dann können sie zum Heil kommen.
=> Der Islam sagt: das wahre Heil findet sich nur in der Hingabe an Gott, die durch Mohammed begründet ist.
=> Merken Sie es? Jesaja kümmert sich schon in seiner Zeit nicht um solche Einwände. Er geht sogar noch viel weiter. Ich zitiere aus dem Originaltext:
"Wenn sie" - die Ägypter - "beim Herrn gegen ihre Unterdrücker Klage erheben, wird er ihnen einen Retter schicken, der für sie kämpft und sie befreit."
=> Das ist skandalös und schlicht unvorstellbar: da wird Ägypten, dem Erzfeind, der Retter, der Messias verheißen und nicht dem ausgewählten Volk Israel!!!
=> Das ist eine messianische Verheißung für Ägypten!
=> Und als ob das alles noch nicht reichen würde, heißt es dort weiter:
"An jenem Tag wird eine Straße von Ägypten nach" - nein nicht nach Israel -, "nach Assur führen, so dass die Assyrer nach Ägypten und die Ägypter nach Assur ziehen können."
=> Die Todfeinde versöhnen sich und das ohne Vermittlung des auserwählten Volkes.
Und dann kommt das Ungeheuerliche:
"Und Ägypten wird zusammen mit Assur (dem Herrn) dienen."
=> Unabhängig vom Judentum!
Denken Sie das einmal weiter …
=> Die anderen Völker, die ehemaligen Erzfeinde, erkennen den Herrn und verehren ihn auf ihre Weise!
Das ist eine Ungeheuerlichkeit!
=> So etwas steht im Buch Jesaja und ist niedergeschrieben worden wahrscheinlich im 8. Jahrhundert vor Christus.
=> Lassen Sie das einmal in Ihre Seele sinken auf dem Hintergrund der Vorstellungen, die die Menschen sich von Gott und von den Religionen machen.
=> In dieser Idee des Jesaja kommen die beiden Feindvölker über alle Grenzen von Nation und Religion zum Glauben an den einen Gott.
Sie verehren ihn auf ihre Weise. So will es Gott!!
=> Aber dann setzt der Prophet sogar noch eins drauf:
"An jenem Tag wird Israel als drittes dem Bund von Ägypten und Assur beitreten, zum Segen für die ganze Erde."
=> Das auserwählte Volk stößt als letztes dazu! Das ist einfach unglaublich – steht aber so bei Jesaja!
Und jetzt denken wir das einmal hinein in unsere Zeit.
=> Da müssen sich die Christen die Frage gefallen lassen, wann sie sich dazu aufraffen, dass sie einem solchen weltumspannenden Friedensbund die Hand reichen, ja sogar aktiv werden, damit dieser Bund zustande kommt. Das wäre eine Weihnachtsbotschaft, die die ganze Welt ergreifen könnte.
=> Und dann gibt es da noch diesen letzten Satz in diesem Abschnitt. Da staune ich, dass er nicht schon vor langer Zeit von den Schriftgelehrten des alten Israel aus der Bibel herausgestrichen worden ist.
Hören Sie noch einmal was Gott hier, durch den Propheten Jesaja den Menschen sagen lässt:
"Denn der Herr der Heere wird sie segnen und sagen: Gesegnet ist Ägypten, mein Volk und Assur, das Werk meiner Hände und Israel mein Erbbesitz."
Diese Reihenfolge ist gewaltig!! Zuerst Ägypten, dann Assur und zum Schluss Israel!
=> Das ist für mich eine universale Weihnachtsbotschaft, wie ich sie nirgendwo sonst bisher in der Bibel gefunden habe. Das ist die Vorstellung von einem weltumspannenden Frieden. So will Gott das für unseren Planeten.
=> Was wäre das für ein Segen, wenn das Wirklichkeit werden könnte.
=> Alle Völker dieser Erde finden auf ihre je eigene Weise den Weg zum Heil. Und alle sind am Ende genau so ok wie sie sind:
„sein Volk“, das „Werk seiner Hände“ und „sein Erbbesitz“.
=> Alle Rechthaberei und alle Streitigkeiten, wer denn jetzt den wahren Gott erkennt und in der rechten Weise verehrt, sind in der Idee Gottes offensichtlich unbedeutend und nichtig.
=> Die Vision von einem weltumspannenden Frieden könnte auf diesem Weg der Rückbesinnung der Religionen auf ihren Urgrund, möglich werden.
=> Diese Vision öffnet die Perspektive für einen ganz besonderen Weihnachtswunsch:
=> Es ist wunderbar, im Dialog mit Muslimen zu ahnen, dass auch Muslime Menschen sind, die unser Gott als Werk seiner Hände betrachtet.
=> In der Auseinandersetzung mit der Arabischen Welt hilft das Bewusstsein, dass es sich auch hier um Völker handelt, zu denen Gott "mein Volk" sagt.
=> Der Gedanke ist für mich sehr belebend, dass allem Antisemitismus, der zurzeit wieder mehr salonfähig wird in unserer Gesellschaft, durch diese Perspektive die Grundlage entzogen wird. Israel ist sein Erbbesitz!
=> Und wir Christinnen und Christen können mit diesem Friedensbund loslegen, weil wir merken, dass nur so Friede wird in unserer Welt.
=> Wenn wir das fertig bringen, dann ereignet sich wirklich Weihnachten – Menschwerdung –
in allen Völkern, auch in Ravensburg. Auch der kleinste Schritt ist ein Schritt zum Leben.
Ich wünsche uns allen diesen Mut zum Aufbruch – so wie Gott das offensichtlich täglich tut in unserer Welt!
Amen.
© R. Hübschle 2021