Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

"Denk-mal: Gott bricht auf“

3. Advent

Lesung: Zef 3, 14-17

Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel!
Freu dich und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem!
Der Herr hat das Urteil gegen dich aufgehoben und deine Feinde zur Umkehr gezwungen.
Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte; du hast kein Unheil mehr zu fürchten.
An jenem Tag wird man zu Jerusalem sagen: Fürchte dich nicht, Zion! Lass die Hände nicht sinken!
Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt.
Er freut sich und jubelt über dich, er schweigt in seiner Liebe, er jubelt über dich und frohlockt, wie man frohlockt an einem Festtag.

 

Evangelium: Lk 3, 10-18

In jener Zeit fragten die Leute Johannes den Täufer: Was sollen wir also tun?
Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat,
und wer zu essen hat, der handle ebenso!
Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und fragten ihn: Meister, was sollen wir tun?
Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist!
Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun?
Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold!
Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Herzen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Christus sei.
Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um seine Tenne zu reinigen
und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.
Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk und verkündete die frohe Botschaft.

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche am Sonntag Gaudete!

Was also sollen wir tun?

Das fragen die Menschen, die zu Johannes in die Wüste gekommen sind. Sie leben in einer Zeit der Unsicherheiten und des Umbruchs. Fremdregiert von den Römern, Glaube und Religion viel leeres Regelwerk. Da tritt einer auf und verheißt eine neue Zeit. Nichts wie hin und gefragt: was sollen wir tun?

Was also sollen wir tun?

Diese Frage stellen sich auch Menschen dieser Tage, die sich in Umbruchszeiten sehen. Als Menschen des 21. Jahrhunderts leben wir wie kaum in einer Zeit davor in einer Spannung zwischen Individualität und Gemeinschaft. Psychische und geistige Fähigkeiten sowie freier Zugang zu Informationen haben sich so weit entwickelt, dass Vieles in den Bereich individueller Entscheidungen gerückt ist, was vorher selbstverständlich als feste allgemein gültige Norm vorgegeben und akzeptiert war. Das bringt Freiheit, das bringt gleichzeitig Verantwortung mit sich. Für manche Menschen bedeutet es große Verunsicherung.

 

Grundsätzlich ist das alles nichts Neues. Sowohl ein Gang durch die Geschichte als auch ein Gang durch die Bibel zeigen, dass beides schon immer da war:

-         Zum einen Individualität, Rückzug, sich selbst entwickeln, beten, für das einstehen, was ich als richtig erkannt habe beziehungsweise was ich als Auftrag von Gott höre und annehme.

-         Zum anderen: Gemeinschaft, zusammenkommen, miteinander und füreinander, beten und Gottesdienst feiern.

Individualität und Gemeinschaft – eine Gesellschaft funktioniert gut, wenn diese beiden Pole ausgeglichen sind.

Individualität und Gemeinschaft – zu beiden Polen bringt Gott immer wieder Menschen zum Nachdenken und setzt durch sie zu allen Zeiten Denkmäler.

 

Liebe Schwestern und Brüder

In unserer gegenwärtigen Zeit ist der Pol Individualität stark betont. Viele beanspruchen die je eigene Wahrheit.

Gleichzeitig erlebt sich ein Einzelner ohnmächtig angesichts der Herausforderungen der Zeit, die unübersehbar sind.

Was also sollen wir tun?

Was also soll ich tun?

Mit dieser Frage beginnt im Jahr 2012 die Geschichte der Organisation „project together“, die ich ihnen heute vorstelle.

Der damals 16-jährige Schüler Philipp von der Wippel ist in England bei einem Schüleraustausch. In seiner Klasse ist ein Schüler aus Syrien, der wütend ist, dass er zusehen muss, wie in seiner Heimatstadt Homs die Bomben fallen, aber seine englischen Mitschüler*innen überhaupt kein Bewusstsein für die humanitäre Katastrophe zeigen. Die beiden organisieren eine Skype-Konferenz mit Kindern und Erwachsenen in Homs. Man hört wie im Hintergrund die Bomben einschlagen. Das Kriegsgeschehen ist ins eigene Leben gekommen. Andere Einrichtungen greifen die Initiative auf. Zwei Schülern war es geglückt, viele andere Jugendliche für das Leid von Menschen zu sensibilisieren. Philipp von der Wippel wird zum Premierminister eingeladen. Er erlebt: eine gute Idee bleibt eine gute Idee, solange man sie nicht umsetzt. Der Leitgedanke von project together wird geboren: jeder einzelne Mensch kann Veränderungen bewirken. Die Frage bleibt: wie kann man die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Visionäre mit ihren Ideen signifikanten Einfluss auf die Gesellschaft ausüben?

Es geht weiter. Zusammen mit seinen Schulfreunden Michael Heider und Maximilian Schlereth gründet Philipp von der Wippel die Organisation project together.

Was ist diese Organisation nun genau und was tut sie?

Die folgenden Beschreibungen habe ich – teilweise wörtlich – der Homepage entnommen.

Wer sind wir:

„Wir sind eine Gemeinschaft pragmatischer Idealist*innen, die gemeinsam Zukunft gestalten.“

Was tun wir:

Wir denken gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen zusammen. „Wir schaffen eine Art gesellschaftlichen Testraum, um systematisch und unter breiter Beteiligung aller Bürger*innen die wirkungsvollsten Lösungsansätze zu finden.“

Es leitet uns dabei die Erkenntnis, dass die Zeit der linearen Ursache-Wirkungs-Gefüge vorbei ist. Alles befindet sich dagegen in einem komplexen Zusammenspiel von Abhängigkeiten und Akteuren.

Was ist unsere Mission: (ich finde es interessant, dass die jungen Leute von Mission sprechen, das zeigt mir etwas von der inneren Motivation ihrer Arbeit):

Wir sind „Wegbereiter für gesellschaftlichen Fortschritt. Wir bringen zusammen, was es braucht, um heute Lösungsansätze auszuprobieren, die morgen die Welt verändern.“

Unsere Leitfrage:

„Wie kann ein neuer Prozess aussehen, wie wir aus der Gesellschaft heraus die großen Herausforderungen unserer Zeit angehen?“

Bis 2020 – also innerhalb von acht Jahren – wurden auf diesem Hintergrund über 1000 soziale Initiativen gefördert.

Alle Initiativen sind einem oder mehreren der 17 Ziele der Weltgesundheitsorganisation verpflichtet:

-         Armut und Hunger beenden

-         Ungleichheiten bekämpfen

-         Selbstbestimmung der Menschen stärken

-         Geschlechtergerechtigkeit

-         ein gutes und gesundes Leben für alle sichern

-         Wohlstand für alle fördern

-         Lebensweisen weltweit nachhaltig gestalten.

Unsere gerade verabschiedete ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt dazu: „dieser Gestaltungswille ist ein echter Lichtblick!“ Ich füge heute dazu: hier ist ein „Denk-mal“ am Werden. Und es sind alles junge Leute!

Wenn ich mich einbringen wollte, würde ich auf die Homepage gehen und dort Kontakt herstellen –

-         Entweder als Initiator*in, also wenn ich ein Problem sehe oder eine Idee habe

-         Oder als Unterstützer*in, wenn ich Fachwissen oder Ressourcen einbringen will

-         Oder als Partner*in. In dem Fall hat project together Brückenbauer- und Netzwerkfunktion

Es lohnt sich wirklich, diese Homepage näher anzuschauen. Dort finden sich auch konkrete Beispiele für verschiedenste Projekte und Prozesse.

 

Hier in unserer Kirche in Dreifaltigkeit ist der jungen Organisation ein Denkmal gesetzt: wir sehen Menschen, die voll Begeisterung zusammenkommen, ihre Hände erheben, sich – auf der Kerze – an den Händen halten, ihre individuellen Fähigkeiten, Ideen und Ressourcen einbringen, Menschen vernetzen und Lösungen kreieren.

Dieses Denkmal soll uns anregen im eigenen Bereich weiterzudenken: was kann ich beitragen für nachhaltige Entwicklung, für eine Kreislauf-wirtschaft, in der Dinge weiterverwertet werden, für Klimaschutz, für gerechte Verteilung,

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Was also sollen wir tun?

Johannes sagt den Menschen am Jordan – frei übersetzt: verteilt Essen und Kleidung gerecht, bleibt ehrlich, seid zufrieden und lasst die andern auch leben.

Wie sich Geschichte doch wiederholt!

Als Christinnen und Christen werden wir ermutigt, uns für unsere Mitmenschen, unsere Umwelt, unsere Schöpfung einzusetzen.

Ermutigt deswegen, weil wir einen Auftrag haben.

Ermutigt deswegen, weil wir in allem was wir tun, nicht allein sind.

Der Prophet Zefanja ruft uns zu: fürchte dich nicht! Lass die Hände nicht sinken! Adonai, Gott, ist in eurer Mitte – ein Held, der Rettung bringt.

So lasst uns voll Mut und Freude aufbrechen – so wie Gott ständig aufbricht zu den Menschen.

Freut euch, ruft der Prophet uns zu.

Freut euch, auch wenn manchmal nur schwer erkennbar ist, dass Gott sich auf den Weg macht.

Freut euch, auch wenn manchmal Schmerzen und Traurigkeit größer sind als Hoffnung.

Freut euch, auch wenn manche Situationen schwer zu ertragen sind.

Freut euch, auch wenn Gerechtigkeit und Frieden auf sich warten lassen.

Freut euch! – denn: am Horizont ist sichtbar, dass Gott dem Elend ein Ende setzt – nicht zuletzt durch uns und durch die jungen Menschen bei project together.

Amen.

© G. Geiger, 2021

 

HIER finden sie die Predigt im pdf-Format.