Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

"Denk-mal: Gott bricht auf“

1. Advent

Lesung: Jer 33, 14-16

Siehe, Tage kommen - Spruch des HERRN -, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe. In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Der HERR ist unsere Gerechtigkeit.

 

Evangelium: Mt 25, 31-40

Das Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker:
Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen.
Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.
Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken.
Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist!
Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben?
Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Predigt:

Denk-Mal  Gott bricht auf!

=> Das ist unser Thema für die Predigten an den Adventssonntagen und an Weihnachten in diesem Jahr.

=> Wir möchten mit diesen Predigten Menschen und Organisationen in den Blick nehmen, die wir exemplarisch herausgreifen. Ihnen werden wir (hier in unserer Krippe) ein Denk-mal setzen.

=> In dieser Advents- und Weihnachtszeit sollen sie uns hier im Kirchenraum daran erinnern, wie wichtig es ist, dass wir die Menschheitsfamilie nicht aus dem Blick verlieren. Letztlich können wir Menschen auf unserem Planeten nur leben und überleben, wenn der Blick geweitet wird auf das Ganze.

Denk-mal! Gott bricht auf!

=> Die Predigten sollen zum Nachdenken anregen und den eigenen Lebenshorizont ein bisschen wenigstens weiten.

=> Heute nehme ich die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in den Blick.

=> Ich denke, dass es hier kaum jemanden geben wird, der oder die nicht schon von dieser Organisation gehört hat.

=> Amnesty International ist im Jahr 1961 in London gegründet worden durch Peter Benenson. Er war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt, von Beruf Anwalt und Politiker in der Labour Partei. Die Menschenrechte waren ihm schon seit jungen Jahren ein Herzensanliegen.

=> Er hat schließlich sein ganzes Leben eingesetzt dafür, dass die Menschenrechte überall in der Welt geachtet werden. Seinem visionären Engagement ist es zu verdanken, dass daraus schließlich diese größte Menschenrechtsorganisation der Welt geworden ist.

Trotzdem ist er bescheiden geblieben. Er sagt von sich:

"Ich möchte nicht, dass man mich mit einem Heiligenschein umgibt. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Bürger, mit all seinen Fehlern."

 

=> Die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 ist die Grundlage für die Arbeit von Amnesty International bis zum heutigen Tag.

=> 1977 ist Amnesty mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. In der Begründung heißt es:

„Amnesty zeichnet sich durch eine klare Haltung aus: Nein zu Gewalt, Folter und Terrorismus. Auf der anderen Seite ein Ja zur Verteidigung der Menschenwürde und Menschenrechte".

 

=> Amnesty ist unabhängig von Regierungen, Parteien, Ideologien, Wirtschaftsinteressen und Religionen.

Um diese Unabhängigkeit zu sichern, wird die Menschenrechtsarbeit ausschließlich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert.

=> Die große Stärke von Amnesty liegt im freiwilligen Engagement von mehr als zehn Millionen Unterstützerinnen und Unterstützer in über 150 Ländern.

=> Das sind Menschen aus den verschiedensten Altersgruppen, Nationalitäten, Kulturen und Religionen.

=> Sie alle setzen sich mit Mut, Kraft und Fantasie für eine Welt ein, in der die Menschenrechte für alle gelten.

=> Peter Benenson hat auch das Emblem von Amnesty angeregt: eine brennende Kerze, um die ein Stacheldraht gewunden ist.

 

Dazu sagt er:

"Früher lagen die Konzentrationslager und Höllenlöcher der Welt in Dunkelheit. Nun sind sie von der Amnesty-Kerze erleuchtet. Die Kerze im Stacheldraht. Als ich die Kerze das erste Mal anzündete, hatte ich ein altes chinesisches Sprichwort im Kopf: 'Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.'

=> Soweit die Beschreibung von Amnesty International. Mich begeistert an Amnesty, dass da die konkreten Menschen in Not im Mittelpunkt sind. Da wird nicht gefragt nach Religion, Hautfarbe, Nationalität politischer oder sexueller Orientierung.

=> Es geht um Menschen die sich in ihren Ländern für die Menschenrechte einsetzen. Sie werden dafür oft durch Regierungen sanktioniert oder durch andere Herrschende bedroht.

=> Besonders gefährdet sind dabei immer noch Rechtsbeistände, Medienschaffende, Frauen und Männer, die sich für Umweltschutz engagieren und andere, die die Regierenden kritisieren.

=> Ich habe Ihnen heute als Evangelium die Endgerichtsszene nach Mt vorgelesen.

Da sind die Werke der Barmherzigkeit aufgelistet worden.

=> Da werden die Gefangenen benannt, weil sie zu den Ärmsten gehören, vor allem dann, wenn sie wegen ihres Einsatzes für andere ungerecht dort im Gefängnis sitzen

„Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“

=> Diese Menschen, die hinter Gefängnismauern verschwinden und dort von der Öffentlichkeit dann eher vergessen werden, die sind es, für die sich Amnesty einsetzt.

=> Dabei berufen sich die Aktivistinnen und Aktivisten von Amnesty nicht auf diesen jesuanischen Auftrag.

Sie wissen sich vor allem den Menschenrechten verpflichtet.

=> Merken Sie es? Dieser Einsatz von Menschen für ungerecht Gefangene ist ein urchristlicher Auftrag.

Und bei Jeremia haben wir in der Lesung gehört, dass Gott

„… für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen wird. Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land.“

 

=> Das ist der Auftrag an die Menschen, die sich an Gott orientieren. Die Aktivistinnen und Aktivisten bei Amnesty orientieren sich wahrscheinlich nicht alle an den Ideen der Bibel, weil viele dieses Buch nicht kennen.

=> Sie engagieren sich unerschrocken, weil sie Gutes tun wollen und weil sie wissen und merken, dass es auch noch funktioniert.

=> Viele Menschen sind so schon aus den Folterkellern und den Gefängnissen menschenverachtender Systeme freigekommen, weil sie nicht vergessen worden sind von der Öffentlichkeit.

=> Ich lese diese Werke der Barmherzigkeit in der Bibel und merke, dass Jesus mit seiner Menschenfreundlichkeit und Klarheit immer noch ein leuchtendes Beispiel ist für unsere Gesellschaft. So kann die Menschlichkeit Einzug halten ins Leben.

=> Es gibt natürlich zahllose christliche Vereinigungen und Institutionen, die sich den Werken der Barmherzigkeit verpflichtet fühlen und so genauso den jesuanischen Geist in unserer Welt spüren lassen.

=> Amnesty International hat als Grundlage für seine Existenz und sein Handeln nicht die Bibel, nicht den Koran und auch keine andere religiöse Schrift, sondern die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

=> Übrigens: Diese Erklärung ist inzwischen von 147 Staaten in unserer Welt anerkannt worden.

=> Allerdings fehlt bei diesen Unterzeichnerstaaten der Vatikan bis zum heutigen Tag, weil in dieser Erklärung Rechte formuliert werden, die vermeintlich der göttlichen Naturrechtsordnung widersprechen.

=> Da fragen sich viele Menschen, wer denn die göttliche Naturrechtsordnung festgestellt hat. Und dann wird deutlich, dass es eben auch nur Menschen waren, die das göttliche Naturrecht definiert haben, um die eigene Macht auszubauen oder zu zementieren.

 

=> Papst Franziskus nimmt diese göttliche Naturrechtslehre nicht so wichtig wie seine beiden Vorgänger Benedikt und Johannes Paul II.

=> Aber er hat sich auch noch nicht durchringen können, die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen zu unterzeichnen.

=> Daraus müssten nämlich in der Konsequenz einschneidende Reformen in der Kirche auf den Weg gebracht werden.

 

=> Da ist noch viel zu tun. Wir hier geben in diesem Advent und an Weihnachten Denkanstöße, damit sich der Blick weitet auf unsere ganze Welt.

=> Vielleicht hilft Ihnen dieses Denk-mal für Amnesty International dabei, darüber nachzudenken und evtl. auch aktiv zu werden.

 

=> Ich wünsche Ihnen dafür viel Phantasie und Kreativität.

Amen.

© R. Hübschle 2021

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.