Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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2. Advent

Lesung: Ex 1, 15-22

Zu den hebräischen Hebammen - die eine hieß Schifra, die andere Pua - sagte der König von Ägypten:
Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, dann achtet auf das Geschlecht! Ist es ein Knabe, so lasst ihn sterben! Ist es ein Mädchen, dann kann es am Leben bleiben.
Die Hebammen aber fürchteten Gott und taten nicht, was ihnen der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder am Leben.
Da rief der König von Ägypten die Hebammen zu sich und sagte zu ihnen: Warum tut ihr das und lasst die Kinder am Leben?
Die Hebammen antworteten dem Pharao: Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind voller Leben. Bevor die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie schon geboren.
Gott verhalf den Hebammen zu Glück; das Volk aber vermehrte sich und wurde sehr stark.
Weil die Hebammen Gott fürchteten, gab er ihnen Nachkommen.
Daher gab der Pharao seinem ganzen Volk den Befehl: Alle Knaben, die den Hebräern geboren werden, werft in den Nil! Die Mädchen dürft ihr alle am Leben lassen.

 

Evangelium: Mk 1, 1-8

Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes: Es begann, wie es bei dem Propheten Jesaja steht: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen.
Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!
So trat Johannes der Täufer in der Wüste auf und verkündigte Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden.
Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen.
Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften, und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig.
Er verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren.
Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.

 

Predigt

Liebe am 2. Adventssonntag versammelte Gemeinde!

„Mensch bleiben – allem zum Trotz“ –

dieses Thema begleitet uns in unserer Seelsorgeeinheit Ravensburg/West in diesem Jahr durch die Adventszeit und an Weihnachten.

Mensch geblieben – allem zum Trotz –

das ist eine Frau, die in Ravensburg bekannt war – vor allem bei den Kranken und bei den Sterbenden in der Oberschwabenklinik:

Schwester Gudrun Härle:

1943 ist sie geboren, mit 20 Jahren tritt sie in den Orden der Franziskanerinnen von Reute ein, und 1986 beginnt sie ihren Dienst als Seelsorgerin, hier, in Ravensburg, im Krankenhaus. 28 Jahre lang hat Schwester Gudrun vielen Menschen in der Klinik Kräfte geschenkt zum Durchhalten, zum Kämpfen und zum Loslassen. Und nach ihrer Pensionierung ist die Frau mit dem Gott-Vertrauen bis kurz vor ihrem Tod - im Juni diesen Jahres - weiter an der Seite der Schwachen gewesen: im Ravensburger Hospiz.

Ihr Nachfolger, Klinikpfarrer Dieter Sasser, sagt über sie folgendes:

„Es gibt Menschen, wenn sie einen Raum betreten, dann ist das spürbar. Sie füllen den Raum – mit ihrer Ausstrahlung. Wenn Gudrun irgendwo war, dann war das so. … Was zu ihrer Qualität als Seelsorgerin gehörte, war ihre innere Balance. Sie ist im Gleichgewicht mit sich selber und mit Gott gewesen. … Gott -Vertrauen führt zu dieser inneren Balance, und die Balance führt zur Gelassenheit. Das haben die Menschen in der Begegnung mit Gudrun gespürt, und dann sind auch sie ruhig geworden.“

(aus einem persönlichen Gespräch mit Dieter Sasser, Klinikpfarrer an der Oberschwabenklinik Ravensburg und mit seinem Einverständnis zur Veröffentlichung)

Gott vertrauen – eine innere Balance haben – gelassen sein –

ist das vielleicht ein Weg, wie wir Christinnen und Christen tatsächlich Mensch bleiben können – allen Herausforderungen in unserem Leben zum Trotz?

Schwester Gudrun hat ganz offensichtlich so gelebt, und sie ist Mensch geblieben, obwohl oder vielleicht gerade weil sie so viele Menschen vom Leben in den Tod begleitet hat.

Sie  ist Mensch geblieben, obwohl oder vielleicht gerade weil sie so viele Tränen gesehen hat.

Ich selber habe Schwester Gudrun viele Jahre lang regelmäßig zu Gesprächen mit Jugendlichen im Rahmen ihrer Vorbereitung auf die Firmung eingeladen. Und in diesen Begegnungen hat die Krankenhausseelsorgerin von ihrem Leben als Ordensschwester erzählt, von ihrer Begleitung schwerkranker und verzweifelter Menschen und von ihrem Leben mit Gott.

Und auch ich habe in diesen Gesprächen mit den Jugendlichen diese kraftvolle Energie gespürt, die Schwester Gudrun ausgestrahlt hat und gleichzeitig ihre innere Freiheit und Gelassenheit.

Noch einmal Dieter Sasser wörtlich:

„Gudrun hat sich innerhalb von Sekunden in eine neue Situation hineinspüren können, weil sie wahrscheinlich von Geburt an ein besonderes Gespür für die Menschen gehabt hat.“

(aus dem gleichen persönlichen Gespräch mit Pfarrer Dieter Sasser)

„Allem zum Trotz“ ist Gudrun Härle ein sensibler und in sich ruhender Mensch geblieben – mit großem Gott-Vertrauen.

Vielleicht haben wir Christinnen und Christen nicht alle ein so großes Gott-Vertrauen wie Schwester Gudrun und auch keine solche Begabung, schwierige Situationen auszuhalten und dann auch noch die richtigen Worte zu finden.

Aber vielleicht kann uns alle die Erinnerung an die Ravensburger Seelsorgerin Mut machen, dass wir, in unserem Leben,

„Mensch bleiben – allem zum Trotz“ –

und das besonders jetzt, in der Corona-Pandemie mit all den belastenden Einschränkungen.

Vielleicht kann Gudrun Härle uns dazu motivieren, dass wir Christinnen und Christen unseren Optimismus und unser Strahlen nicht verlieren – auch nicht hinter diesen manchmal lästigen aber lebensrettenden Mund-Nasen-Bedeckungen.

Vielleicht lassen wir uns von der Frau, die so viel Leiden gesehen hat, dazu bewegen, dass wir mitleiden mit all den denen, die schwer an Corona erkrankt sind oder die mit schweren Folgen zu kämpfen haben. Und sobald der erwartete Impfstoff da ist, braucht es eine gerechte und sinnvolle Verteilung – nicht nur in unserem Land sondern auch in den ärmeren Kontinenten, die übrigens schon in den zurückliegenden Jahrzehnten  teilweise mit anderen Virus-Epidemien schwer belastet waren. Wir alle könnten uns auf den politischen Ebenen dafür einsetzen.

Anstatt die Zukunft nur düster zu sehen und anstatt nur über die nötigen Einschränkungen zu klagen, könnten wir Christinnen und Christen diejenigen sein, die rücksichtsvoll und kreativ durch den Advent gehen und die ganz bewusst Hoffnung ausstrahlen.

„Mensch bleiben – mit Gottvertrauen – allem zum Trotz!“

Dann wären wir alle – so wie das die Ärztinnen und Ärzte und die Pflegekräfte in der Zeit der Pandemie schon sind – kleine oder auch große Helden und Heldinnen unseres  Alltags.

Im heutigen Lesungstext begegnen uns auch zwei Heldinnen ihres Alltags. Es sind zwei Frauen – Pua und Schifra - die ebenfalls

Mensch geblieben sind – allen politischen Herausforderungen zum Trotz!

Die beiden Hebammen gehören zum Volk Israel, aber sie leben in Ägypten.

Zu Ihrer Erinnerung:

Wegen einer großen Hungersnot waren viele Familien aus dem Volk Israel nach Ägypten geflohen. Dort wurden die Fremden wie Sklaven und Sklavinnen behandelt und zu schwerer Arbeit gezwungen.

Trotzdem hat sich das Volk Israel in Ägypten vermehrt, und der Pharao hat das zunehmend als Bedrohung empfunden.

Und deshalb befiehlt der Herrscher in Ägypten den hebräischen Hebammen, alle männlichen Neugeborenen der hebräischen Frauen bei der Geburt zu beseitigen.

Ganz offensichtlich aber hat der Pharao nicht mit dem Mut und dem Widerstand von Pua und Schifra gerechnet.

Im Bibeltext heißt es wörtlich:

„Die Hebammen aber fürchteten Gott und taten nicht, was ihnen der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder am Leben.“

Und lügen können diese beiden Frauen auch:

„Bei den hebräischen Frauen ist es nicht wie bei den ägyptischen. Wenn die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie schon geboren.“

Pua und Schifra setzen sich gegen unmenschliche Anweisungen ganz menschlich zur Wehr.

Sie leisten Widerstand, weil sie Ehrfurcht haben vor dem Ewigen, der uns Menschen das Leben ermöglicht.

Und Gott segnet die mutigen Frauen, die lügen und sich den Befehlen der Mächtigen widersetzen. Wörtlich heißt es im Buch Exodus:

„Gott verhalf den Hebammen zu Glück.“

„Pua“ bedeutet im Hebräischen „Glanz“, und „Schifra“ bedeutet „Schönheit“.

Die beiden Hebammen stellen die göttliche Macht über die Macht des Pharao. Und deshalb strahlen sie selber die Schönheit unseres Gottes hinein in ihren Alltag.

Oder anders gesagt:

Pua und Schifra sind Mensch geblieben – aller Unmenschlichkeit zum Trotz – und deshalb werden sie vom Himmel mit göttlichen Kräften beschenkt.

 

Liebe Gemeinde,

ich wünsche Ihnen, dass Sie mit sich selber und mit unserem Gott im Einklang sind und dass Sie so die Kraft haben, Mensch zu bleiben und solidarisch mit den Schwachen zu sein.

Und vielleicht lassen Pua und Schifra – und genauso Schwester Gudrun Härle – Sie ahnen:

In Ägypten – genauso wie hier, in Ravensburg - lässt unser Gott all die Menschen mit seinen göttlichen Kräften strahlen, die selber im Innersten

„Mensch bleiben“ – allen Tränen und aller Unmenschlichkeit zum Trotz.

Amen.

© A. Böhm, 2020

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.