Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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Christmette

Lesung: Mi 5, 1-4a

Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen.
Darum gibt er sie preis, bis zu der Zeit, da die Gebärende geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder zurückkehren zu den Söhnen Israels.
Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des HERRN, in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Grenzen der Erde.
Und er wird der Friede sein.

 

Evangelium: Lk 2, 1-14

Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen.
Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.
Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen.
So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.
Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.
Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.

In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr.
Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll:
Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.
Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.

Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.

 

Predigt

„Sehr geehrte Christinnen und Christen in Ravensburg!

Gestatten Sie mir, dass ich meinen Brief an Sie mit einer Vorbemerkung beginne:

Es erstaunt mich, und zugleich macht es mich auch stolz, dass Sie meine literarischen Werke in der Bibel immer noch lesen und sich auf diese Weise auf den Versuch einlassen, die Gottesidee philosophisch zu durchdenken und zu prüfen, ob diese Idee, die ich selber als genial bezeichnen würde, auch in Ihrem Leben eine Bedeutung hat oder nicht.

Es sind ja immerhin fast 2000 Jahre vergangen, seit ich mein Evangelium verfasst habe.

Aber erlauben Sie mir zunächst, dass ich mich Ihnen vorstelle:

Lukas ist mein Name – geboren bin ich im heutigen Griechenland, und meine wohlhabenden Eltern haben mir eine gute Schulbildung ermöglicht.

Schon als junger Mann habe ich mich mit der griechischen Geschichte und mit den Göttersagen meines antiken Heimatlandes vertraut gemacht. Vielleicht habe ich deshalb meine Vorliebe für eine rhetorisch geschliffene und für eine stilvolle Sprache entwickelt.

Und gleichzeitig habe ich bei meinen Studien dieser wertvollen Literatur entdeckt, wie wichtig Bilder und Bildergeschichten sind, wenn wir Irdische über die göttliche Welt sprechen.

Aber genau dieses Ziel habe ich als Schriftsteller in der Bibel vor Augen:

Als Mensch über das Göttliche schreiben!

Oder noch präziser formuliert:

Ich will vor allem für die philosophisch gebildeten Heiden und die griechisch sprechenden Juden in meinem Lebensumfeld schreiben, die dem Gedanken, dass Gott im Menschen Jesus von Nazareth zur Welt gekommen ist, eher skeptisch gegenüberstehen. Kann es sein, dass es solche Frauen und Männer auch in Ravensburg – 2000 Jahre später – immer noch gibt, und dass Sie sich deshalb immer noch dafür interessieren, was ich als biblischer Schriftsteller dazu zu sagen habe???

Einen Grundgedanken nehme ich vorweg:

Wenn der Himmel geerdet wird, dann fallen mir als Autor, als Kenner der griechischen Sagenwelt, aber auch als Heide, der mit der jüdischen Tradition vertraut ist, sofort Bilder ein:

Alte Hirtensagen, berührende Engelbotschaften und weitererzählte Geburtslegenden  großer Männer in der Menschheitsgeschichte.

Den Gedanken z.B., dass der lang erwartete himmlische Retter des jüdischen Volkes in Bethlehem geboren wird, habe ich beim jüdischen Propheten Micha entdeckt. Sie können das in seinem 5. Kapitel nachlesen.

Und deshalb male ich als Schriftsteller ganz bewusst meine Bilder vom Weg nach Bethlehem, vom Stall mit dem Kind und seinen Eltern – und ich bin hocherfreut, dass Sie sich so viele Jahre später, die Zeit nehmen, mit Ihrer Intelligenz und mit Ihrem philosophischen Spekulieren meine Bilder zu interpretieren, damit Sie sich der Wahrheit über unseren christlichen Gott, der Mensch geworden ist, immer mehr annähern können.

Mit meinen Bildergeschichten über die Geburt dieses Kindes in Bethlehem  will ich bezeugen:

Jesus von Nazareth ist der in den jüdischen Schriften Erwartete und der von Gott in unsere menschliche Welt Gesandte.

Mit meinen gesamten biblischen Schriften will ich den Versuch wagen, die Gottes-Ideen dieses lang Erwarteten zu dokumentieren – und zwar primär nicht als Historiker, sondern als Schriftsteller.

Und ich schreibe, obwohl ich dem Mann aus Nazareth nie persönlich begegnet bin.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich jetzt vielleicht fragen, wie ich denn dann  zu meiner Fülle von Informationen über ihn gekommen bin.

Einerseits habe ich schriftliche Zeugnisse über Jesus bei meinen akribischen Recherchen gefunden: Das Markus-Evangelium ist mir in Fragmenten vorgelegen – aber auch noch eine schriftliche Sammlung von authentischen Jesus-Worten – Logien nennen wir griechisch sprechende Gelehrte diese Sammlung.

Und darüberhinaus habe ich mit zahlreichen Frauen und Männern gesprochen, die wiederum andere Menschen gekannt haben, die Jesus selber noch begegnet sind und die begeistert von ihm erzählt haben: Von seiner Ausstrahlung, von seiner einzigartigen Redegewandtheit und am häufigsten von seinen liebevoll-heilenden göttlichen Kräfte, durch die so viele Frauen und Männer seiner Zeit wieder zu Menschen geworden sind.

„Ihn hat der Himmel zu uns Menschen geschickt!“  -

mit diesem Satz lassen sich – meinen Nachforschungen zufolge – alle Erzählungen der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen zusammenfassen.

Ja, Sie haben richtig gehört:

Es waren auch Frauen dabei – und ich habe ganz bewusst in meinen biblischen Schriften die Frauen auch namentlich benannt, die eine ganz wichtige Rolle in der Verkündigung Jesu hatten: Maria Magdalena, die Sie vermutlich kennen, aber auch Johanna und Susanna. Im 8. Kapitel in meinem Evangelium können Sie das nachlesen. Und ich verstehe im übrigen überhaupt nicht, warum dieser Sachverhalt in den drei anderen Evangelien verschwiegen wird.

Ich sage bewusst „verschwiegen“, denn meinen Recherchen zufolge ist Jesus ein Leben lang dafür bekannt gewesen, dass er auch Frauen auf Augenhöhe begegnet ist. Und seine Gottes-Ideen wären ohne das Erzählen der Frauen ganz sicher nicht so schnell unter die Leute gekommen. Ich denke, Sie wissen, was ich sagen will….

Wer also bewusst verschweigt, wie wichtig die Frauen bei der Verkündigung Jesu waren, oder wer Frauen gegenüber uns Männern bewusst benachteiligt – in welchen Zusammenhängen auch immer dies geschehen könnte – kann sich ganz sicher nicht auf mein biblisches Zeugnis berufen.

Aber ich rechne jetzt nicht ernsthaft damit, dass das in Ihrem aufgeklärten und mit hervorragenden Philosophen und Theologen gesegneten Land im 3. Jahrtausend nach der Geburt Jesu noch der Fall sein wird….“

So endet er jetzt – dieser Brief des Evangelisten Lukas – ein fiktiver Brief, geschrieben von mir.

„O, Gott, Mensch werden??!!“ –

dieses Thema hat uns Christinnen und Christen in der Seelsorgeeinheit Ravensburg/West in der gesamten Adventszeit begleitet.

Und wir haben versucht, unsere theologischen Ãœberlegungen dazu in jeder Predigt auch in einem fiktiven Brief zu entfalten.

Wir haben am 1. Advent einen Brief von Navid Kermani geschickt bekommen, in dem uns der Schreiber dafür begeistern wollte, dass das Zusammenleben der Religionen auch in unserem Land gelingen kann.

Betroffen gemacht und zum politischen Handeln herausgefordert hat uns der Brief von Nadia Murad, der jesidischen Friedensnobelpreisträgerin.

Der Heilige Vinzenz von Paul wollte uns in seinem Brief am 3. Advent dazu ermutigen, dass wir über unsere christliche Nächstenliebe nicht nur reden, sondern dass wir sie auch bewusst leben.

Und es war schließlich die Heilige Elisabeth von Thüringen, die in ihrem Brief eindrucksvoll davon erzählt, dass wir Christinnen und Christen dann wirklich zu Menschen werden und es auch bleiben, wenn wir statt Reichtum und Macht die Liebe als Lebensprinzip wählen – und zwar eine Liebe, die besonders die wenig Geliebten und die gering Geachteten sieht.

Und jetzt heute – in dieser Nacht – schreibt uns Lukas, und er schenkt uns als Schriftsteller seine Bilder vom Stall, von den Hirten, von den Engeln und vom Kind.

Und er legt als Schreibkünstler weniger wert auf historische Fakten, sondern gibt uns Christinnen und Christen seine entscheidende Erkenntnis mit in unser Leben:

„O, Gott, Jesus ist Mensch geworden, weil du selber ihn vom Himmel in unsere Welt geschickt hast.“

Lukas, der intelligente und belesene Wortkünstler versucht gar nicht, dieses Ereignis von Bethlehem philosophisch oder theologisch zu betrachten – so wie das der Evangelist Johannes nach ihm versucht hat. Lukas lässt die Frage offen, wie es möglich sein kann, dass sich in diesem Kind – und später dann im erwachsenen Mann – Himmel und Erde berühren. Er will nur zweifelsfrei aussagen, dass es so ist. Und er mutet uns Christinnen und Christen zu, dass wir uns mit der Unbegreiflichkeit Gottes wohl ein Leben lang abfinden müssen.

 

Liebe Gemeinde,

leider hat Lukas seinen angefangenen Brief an uns alle nicht zu Ende geschrieben.

Und deshalb kann ich Ihnen letztendlich weder theologisch, noch philosophisch und schon gar nicht naturwissenschaftlich beweisen, dass sich Himmel und Erde im Menschen Jesus von Nazareth berühren.

„O, Gott, du wirst Mensch und bleibst der Unbegreifliche!“

Falls Sie jetzt eher enttäuscht sind über diese Aussage des Evangelisten Lukas, die viele Ihrer Fragen womöglich offen lässt, dann bringt Sie vielleicht die folgende Erzählung über den großen deutschen Naturwissenschaftler Albert Einstein bei Ihrer Suche nach der Wahrheit von Weihnachten weiter:

„Albert Einstein hält einen anspruchsvollen Vortrag über das Verhältnis von Raum und Zeit. Als er fertig ist, steht ein Zuhörer auf und widerspricht:

„Was Sie hier ausgeführt haben, ist mir viel zu spekulativ. Wir sind doch nicht in der Kirche. Nach meinem gesunden Menschenverstand kann es nur das geben, was man sehen und überprüfen kann.“

Einstein lächelt und antwortet: Dann kommen Sie doch bitte mal nach vorne und legen Sie Ihren gesunden Menschenverstand auf den Tisch.“

(aus: Der andere Advent, Andere Zeiten e.V.; Wachholtz-Druck Neumünster, 2005)

Amen.

© A. Böhm, 2018

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.