Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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88213 Ravensburg

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1. Advent

Lesung: Jer 33, 14-16

Seht, es werden Tage kommen - Spruch des Herrn -, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe.
In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land.
In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Jahwe ist unsere Gerechtigkeit.

 

Evangelium: Lk 21, 25-28.34-36

Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.
Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.
Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.
Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, (so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen.
Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.

 

Predigt:

Oh Gott!!
Mensch werden – wie geht das?

Liebe Mitchristen,

das ist das Thema unserer Predigtreihe im Advent.

Wir werden exemplarische Menschen herausgreifen, von denen wir meinen, dass uns da ein Mensch begegnet, in dem diese Menschwerdung gelungen zu sein scheint.

Ich darf Ihnen heute Navid Kermani vorstellen. Er ist mir schon vor einigen Jahren aufgefallen, weil er es als Muslim schafft, die verschiedenen Religionen in Deutschland zusammen zu denken.

=>  Navid Kermani ist 1967 als vierter Sohn iranischer Eltern in Siegen geboren worden. Er ist Deutscher und Iraner. Er ist verheiratet mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur und sie haben zwei Töchter.

=>  Navid Kermani hat Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft studiert in Köln, Kairo und Bonn. Er arbeitet heute als freier Journalist und Buchautor.

Seine Doktorarbeit trägt den Titel: „Gott ist schön“.

Und vor zwei Jahren hat er ein Buch unter dem Titel „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ veröffentlicht.

=>  Dieses Buch hat mich dazu bewegt Navid Kermani hier in dieser Predigtreihe zu uns sprechen zu lassen. Hören Sie seinen Brief an uns:

 

Sehr geehrte Christinnen und Christen in der Seelsorgeeinheit Ravensburg-West,

das ist schon eine besondere Gelegenheit, dass ich, als Moslem, der in Deutschland aufgewachsen ist, das Wort an Sie richten darf. In vielen meiner Bücher beschäftige ich mich immer wieder mit dem Verhältnis der Religionen untereinander. Dabei wird mir immer klarer, dass die Grundlagen dieser Religionen gar nicht so weit voneinander entfernt sind.

Ich konnte mit dem Kreuz und dem Gekreuzigten im Christentum nie wirklich etwas anfangen bis ich in den Darstellungen von Caravaggio in Rom dem Leid der Menschen begegnet bin.

Das Kreuz steht für mich nicht für die Inkarnation in nur einer Person, es steht für das Prinzip – so wie ich das Christentum verstehe. Ich orientiere mich dabei an der katholischen Bilderwelt, die ich in Rom und in Köln kennengelernt habe.

Aber was sich mir hinter den Bildern und vor allem im Leben von Christen erschlossen hat, das ist diese universale menschliche Liebe, die die Christen verkünden und oft auch leben.

Ich habe entdeckt, dass das Christsein sich zeigt in der Sorge um jeden Menschen, auch in der Sorge um den Feind. Diese Sorge auch für den Feind ist für mich der revolutionärste Impuls des Christentums.

=>  Ich habe mich darüber hinaus intensiv angefreundet mit dem Heiligen Franz von Assisi. In seinem Sonnengesang „Laudato Si“ greift Franziskus ganz bewusst die neunundneunzig schönsten Namen Gottes aus dem Islam auf.

=>  Der Hl. Franz tritt sogar dem Sultan al Malik al Kamil mit einer Segensbitte entgegen, obwohl die Christenheit sich gerade im 5. Kreuzzug aufmacht, um den Islam zu überwinden.

=>  In dieser Zeit war es ein Beweis für die Glaubenstreue, wenn die Männer mit Feuer und Schwert den Glauben verteidigt haben und bereit waren, ihr Leben dafür einzusetzen.

=>  Damals die Gotteskrieger, heute die Dschihadisten. Beide verfehlen den Sinn ihrer Religion, weil es in beiden Religionen um die gelebte Liebe geht, die allein diese Welt wirklich verwandeln kann.

=>  Ich bin zutiefst überzeugt, dass ein Religionsfriede in unserer Welt auch den Frieden zwischen den Völkern voranbringen könnte.

…

Soweit der fingierte Brief von Navid Kermani.

=>  Er ist ein exemplarischer Mensch, der sich heute für diesen Religionsfrieden einsetzt und bei einer großen Öffentlichkeit in unserem Land Gehör findet.

2015 hat er dafür den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten. Dieser Friedenspreis ist eine von vielen anderen Auszeichnungen, die ihm seit dem Jahr 2000 zuerkannt worden sind.

=>  Navid Kermani ist hier in Dreifaltigkeit dargestellt auf unserer ersten Adventskerze. Um ihn herum sind die Symbole der vier großen Weltreligionen zu sehen:

=>  Das Yin und Yang steht für die chinesische Religion, die stark geprägt ist von dem weisen Denker Konfuzius, der im 6. Jahrhundert vor Christus gelebt hat.

=>  Mit ihm beginnt der Abschied von der magischen Religion hin zu einer Religion, die von vernünftigem Denken geprägt ist. Im Mittelpunkt aller seiner Ãœberlegungen steht der Mensch und seine Fähigkeit zu ethischen Entscheidungen. Es wird kein personaler Gott geglaubt, sondern alle Menschen sind eins im Ganzen.

=>  Das Symbol des siebenarmigen Leuchters, die Menorah, steht für das Volk Israel, das seine Geschichte mit seinem Gott aufschreibt in der Bibel. =>  Die vielen Verfasser der verschiedenen Bücher der Bibel  schauen in der Entstehungszeit von nahezu tausend Jahren auf JAHWE und sein Volk.

=>  Damit versuchen sie, den Glauben an die vielen Götter der Kulturen um das Volk Israel herum, auf den einen Gott hin zu zentrieren.

=>  Das Kreuz steht für das Christentum. Im Christentum wird die Beziehung dieses einen Gottes zu den Menschen neu definiert. Mit der Ablösung vom Judentum entsteht diese große Religion, der neue Weg.

=>  Der Halbmond steht für den Islam. Zentrale Gestalt im Islam ist der Prophet Mohammed, der die radikale Rückkehr zum Ein-Gott-Glauben lehrt. Mohammed lebt im 6. und 7. Jahrhundert nach Christus.

Oh Gott! – Mensch werden!

=>  So ist die Ãœberschrift über unsere Predigtreihe in diesem Advent und an Weihnachten.

=>  Schauen Sie sich unsere Wirklichkeit an, wie Menschen die „Weihnachtszeit“ gestalten, die seit einigen Jahren schon vor dem 1. Advent beginnt.

=>  Christbäume werden verkauft. Die Innenstädte strahlen von Lichtern. Es duftet nach Glühwein und gebratenen Würstchen und gebrannten Mandeln. In den Supermärkten quellen die Regale über von Weihnachtsgebäck, Weihnachtsmännern und Weihnachtsschmuck.

=>  In den Briefkästen landen zahllose Bettelbriefe unterschiedlichster Organisationen, die alle gerne eine Spende haben möchten.

=>  Alles das ist bei uns Advent.

=>  Bei vielen Leuten ist ein 13. Monatsgehalt im Geldbeutel, das sich die vielen Geschäfte und Organisationen gerne abgreifen möchten.

=>  Advent und Weihnachten – die Zeit, in der sich der größte Umsatz des Jahres im Einzelhandel machen lässt.

=>  Dem entgegen steht die knallharte Wirklichkeit, in der die meisten Menschen leben und überleben müssen.

=>  Da geht bei vielen der Blick in eine ungewisse Zukunft: Sorgen belasten, Familien zerbrechen, geliebte Menschen sind gestorben, das Geld reicht hinten und vorne nicht …

Ansprüche sind da, Verbindlichkeiten wollen bedient werden usw.

=>  Lebenswirklichkeit nicht nur im Advent, sondern jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, Jahr für Jahr.

 

=>  Zu allen Zeiten hat sich da die Frage gestellt: wer oder was kann da helfen?

=>  Erinnern Sie sich noch an die Lesung aus dem Buch Jeremia?

 

„In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land.“

 

=>  Da kann nur noch Gott helfen - durch einen gerechten Spross.

Das ist die Ausgangsposition für das Judentum.

 

=>  Die Christen glauben, dass in Jesus von Nazareth der versprochene „gerechte Spross“ gekommen ist. Sie glauben sogar, dass Gott selbst Mensch geworden ist!

 

=>  Die Muslime erwarten ihre Rettung aus der Misere wieder nur von Gott allein. Diese Hilfe erbitten sich die gläubigen Muslime 5 mal am Tag in der ersten Sure des Koran.

Mohammed ist nur der Prophet, das Sprachrohr Gottes.

 

=>  Konfuzius lehrt die Menschen seiner Zeit:

„Ein Mensch ohne Menschlichkeit, was helfen dem die Riten? Ein Mensch ohne Menschlichkeit, was hilft dem die Musik? ... Wer gegen den Himmel sündigt, hat niemand zu dem er beten kann. “

(Konfuzius, Gespräche 3,3 und 3,13)

 

=>  Die Religionen, die sich auf den einen Gott berufen, erwarten auch von ihm, dass er in der Not hilft, allerdings kann er das nur durch Menschen tun, die sich auf ihn einlassen.

=>  Konfuzius geht nicht davon aus, dass die Hilfe von einem Gott kommt, sondern von den Menschen, die sich auf ihre Menschlichkeit besinnen.

 

=>  Menschlichkeit beruht auf Gegenseitigkeit.

=>  Und schon sind wir bei der sog. goldenen Regel, die es in allen vier Religionen gibt:

„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“

=>  Mit dieser Grundnorm echter Menschlichkeit lassen sich für alle Religionen gültig Gut von Böse unterscheiden.

=>  Damit sind wir im Herzen der Religionen. Es geht um geglücktes Leben der Menschen.

=>  Die grundlegenden Ideen der vier Religionen beziehen sich auf den Nahbereich der Menschen. Da geht es noch relativ leicht, menschlich mit anderen umzugehen.

 

=>  Schwieriger wird es, diese Ideen auf die vielen Völker in unserer Welt angewandt werden sollen. 

 

=>  Und noch schwieriger wird es, wenn sich einzelne Menschen oder Völker gar nicht in diese Ideenwelt einbeziehen lassen wollen, wenn ganz andere Ideen oberstes Prinzip werden.

=>  Da gibt es die Wertewelten im Kommunismus, im Faschismus, in Monarchien, Stammeskulturen, Diktaturen, Demokratien, Wirtschaftsimperien und an den Börsen.

=>  Immer geht es um Ideenwelten, die manchmal von Religionen beeinflusst sind. Oft aber haben sie mit Religion überhaupt nichts mehr zu tun.

=>  Aber sie versprechen den Menschen oder eben nur einem Teil der Menschen, dass sie das Leben in Fülle haben werden.

Oh Gott – Mensch werden!

 

=>  Es ist offensichtlich unendlich schwierig, diesen großen Grundsatz in das reale Zusammenleben der Menschen zu übertragen, obwohl doch alle nur in Frieden leben wollen!!

=>  Navid Kermani hat das verstanden und versucht mit seinem Lebenswerk, diesen Weg vorzudenken.

In der Bibel werden solche Menschen, die vorausdenken und Möglichkeiten ausloten, ‚Propheten‘ genannt. Kermani ist in diesem Sinn ein moderner Prophet, der sich einsetzt für die Menschlichkeit in unseren unmenschlichen Zeiten.

=>  In unserer Moderne werden Schlachten inszeniert, ohne dass die Gegner sich sehen können. Mörderische Drohnen, ferngelenkt von einem Menschen am Joy-stick, bringen Tod und Vernichtung ins Schlachtgebiet. Und dabei werden eben „Kollateralschäden“ in Kauf genommen. Einige, die das überlebt haben, leben inzwischen hier bei uns auch in Ravensburg als Geflüchtete.

=>  Navid Kermani ist den Flüchtlingsströmen in die andere Richtung entgegengereist und hat die Wirklichkeit dieser Flüchtenden beschrieben. Die, die hier angekommen sind, sind gerettet, viele tausend andere leben in unvorstellbarem Elend und ohne Zukunftsperspektive. Kermani erhebt die Stimme für sie und stellt sie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.

Ein moderner Prophet!

=>  Jeremia kündigt Jerusalem den Untergang an, aber mit der Perspektive, dass es einen Retter geben wird.

=>  Konfuzius schafft es, dass Religion aus einem magischen Verständnis befreit wird. Er sagt, dass Religion auf der Vernunft gründen muss.

=>  Konfuzius ist ein Prophet, weil er den Menschen ihren eigenen Wert und ihre Würde zurückgegeben hat.

=>  Mohammed ist der Prophet des einzigen Gottes, der noch einmal den Versuch macht, den Monotheismus radikal in diese Welt hinein zu denken.

=>  Aber: wer sich Gott wirklich hingibt (= Islam), kann mit den Menschen nicht unmenschlich umgehen!

 

=>  Jesus ist prophetisch aufgetreten. Seine Botschaft ist bis zum heutigen Tag prophetisch. Aber er ist für uns Christen mehr als ein Prophet. Wir bekennen ihn als den Sohn Gottes.

=>  Er verkörpert den menschlichen Umgang mit Menschen aus allen Schichten, ob krank oder gesund. In ihm ist uns der unbegreifliche Gott auf ungeheuer menschliche Weise sehr nahe gekommen. Das hat Navid Kermani verstanden.

 

Hören Sie ihn zum Schluss im Originalton über seine Entdeckung:

 

„Wenn ich etwas am Christentum bewundere, oder vielleicht sollte ich sagen: an den Christen, deren Glaube mich mehr als nur überzeugte, nämlich bezwang, aller Einwände beraubte, wenn ich nur einen Aspekt, eine Eigenschaft zum Vorbild nehme, zur Leitschnur auch für mich, dann ist es nicht etwa die geliebte Kunst. Es ist die spezifisch christliche Liebe. Die Liebe, die ich bei vielen Christen und am häufigsten bei denen wahrnehme, die ihr Leben Jesus verschrieben haben, den Mönchen und Nonnen. Das geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte: Ihre Liebe machte keinen Unterschied.“

Oh Gott – Mensch werden!!

Amen.

© R. Hübschle 2018

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.