Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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2. Advent
Lesung: Bar 5, 1-9
Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht.
Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt!
Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.
Gott gibt dir für immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht.
Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe! Schau nach Osten und sieh deine Kinder: Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt. Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat.
Denn zu Fuß zogen sie fort von dir, weggetrieben von Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir, ehrenvoll getragen wie in einer königlichen Sänfte.
Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, sodass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann.
Wälder und duftende Bäume aller Art spenden Israel Schatten auf Gottes Geheiß.
Denn Gott führt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit; Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm.
Evangelium: Mt 23, 1-3.23+24
Darauf wandte sich Jesus an das Volk und an seine Jünge und sagte: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen.
Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Blinde Führer seid ihr: Ihr siebt Mücken aus und verschluckt Kamele.
Predigt:
Liebe Gemeinde!
Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon einmal bei mir im Büro im Pfarramt in der Weststadt war.
Da hängen an der Tür viele Bilder und Karikaturen – manche einfach nur lustig, manche frech, viele auch durchaus kritisch.
Eine Postkarte zeigt die Darstellung der Geburt im Stall – Maria, Josef, das Kind, die Heiligen Drei Könige.
Eigentlich die vertraute Szene – und doch schauen alle Beteiligten auf dem Bild verzweifelt, betreten, fassungslos.
Warum? Ganz einfach – das Kind, das da auf dem Stroh liegt, ist eindeutig ein Mädchen.
Die Zeichnung stammt von dem österreichischen Karikaturisten Gerhard Haderer, manchen von Ihnen vielleicht aus dem Stern bekannt.
Das Jesuskind – ein Mädchen. Ist diese Darstellung zu frech – darf man das? So könnte man fragen. Aber mit Blick auf das Thema unserer Predigtreihe: frage ich: Mensch Gott – wie wird Gott Mensch, wie kommt Gott in diese unsere Welt, heutzutage? Und da bin ich überzeugt, dass dies nicht nur über Männer, sondern auch über Frauen geschieht.
Eine solche Frau möchte ich Ihnen heute vorstellen. Der Name ist Ihnen möglicherweise vertraut – doch es ist schon über 20 Jahre her, dass in den Schlagzeilen war, weil sie den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Ich rede von Rigoberta Menchú. Sie wurde am 9. Januar 1959 in Chimel (Guatemala) geboren. 1983 verfasste sie ihre Biographie „Yo, Rigoberta Menchú“. Sie schreibt über ihr Leben und damit über die 500jährige Unterdrückung ihres Volkes und damit aller UreinwohnerInnen Zentral- und Südamerikas, und ich muss sagen, wie sie gelebt und was sie erlebt hat, das ist stellenweise nichts für zarte Gemüter.
Rigoberta Menchú wuchs als sechstes von zehn Kindern in einer bitterarmen Indiofamilie auf, die wie alle anderen von den Erträgen ihrer kargen Felder im Hochland Guatemalas nicht leben konnte. Deshalb mussten sie schon in früher Kindheit mit ihrer Familie 8 Monate im Jahr auf den Fincas der weitentfernten Küstenregion schuften. Ihr Bruder Nicolas starb mit 5 Jahren an Unterernährung. Rigoberta erlebte die brutalen Übergriffe von Privatmilizen der Großgrundbesitzer auf die Indiodörfer, bei denen es um Grundbesitz, neu entdeckte Erdölfelder, aber auch, wie Menchú betont, um die endgültige Vernichtung der indianischen Kulturen ging. Guatemala wurde von 1954 – 1986 fast durchgängig von Militärjuntas regiert, und die Regierung tolerierte das gewaltsame Vorgehen; seit Ende der 70er Jahre betrieb sie selbst eine Politik der „verbrannten Erde“. Über 400 Dörfer verschwanden damals von der Landkarte, Zehntausende Indios flohen in die Nachbarländer. Der indianische Widerstand formierte sich nur langsam, zunächst in kirchlichen und gewerkschaftlichen Zusammenhängen, später auch als bewaffnete Guerilla.
Rigoberta wuchs im katholischen Glauben auf und war schon als Jugendliche Katechetin und Gebetsleiterin. Sie blieb aber stets auch ihren indianischen Wurzeln und ihrer Kultur treu. Unter anderem durch Nonnen lernte sie als 20jährige Spanisch – ihre Muttersprache ist Quiché - Lesen und Schreiben. Der Kirche stand sie aber auch durchaus kritisch gegenüber, da diese in Guatemala nur teilweise zu den Ureinwohnern und Armen hielt. Wie Rigoberta und ihre Gesinnungsgenossen die Bibel auslegen, erinnert an die „Theologie der Befreiung“ – es würde mich persönlich wirklich interessieren, was sie von unserem jetzigen Papst hält.
1979, mit 20 Jahren, wurde Rigoberta Menchú Mitglied in der von ihrem Vater Vincente Menchú gegründeten Landarbeitervereinigung. Im selben Jahr wurde ihr 16jähriger Bruder PetrocÃno nach grausamer Folter von staatlichen Sicherheitskräften umgebracht, 1980 kam ihr Vater bei der Besetzung der spanischen Botschaft ums Leben, später wurde ihre Mutter, Juana Tum, vergewaltigt und zu Tode gefoltert.
1981 floh Rigoberta ins mexikanische Exil, wo sie die „Vereinigte Vertretung der guatemaltekischen Opposition“ mitbegründete, im Folgejahr trat sie das erste Mal vor der UN-Menschenrechtskommission auf und versuchte, die Weltöffentlichkeit über die ungeheuerlichen Vorgänge in ihrem Land aufzuklären. Trotz der Gefahr für ihre eigene Sicherheit kehrte sie in den 80er Jahren verschiedentlich nach Guatemala zurück, um an dem – bis heute nicht abgeschlossenen – Aussöhnungsprozess zwischen Regierung und Guerilla teilzunehmen. 1992 wurde sie für dieses Engagement mit dem Friedensnobelpreis geehrt – gerade 33 Jahre alt und damit damals jüngste Preisträgerin. Im Jahr darauf war übrigens Guatemala dann auch das Themenland des Weltgebetstages.
Seitdem erhielt Rigoberta Menchú 17 Ehrendoktorwürden und bekleidet zahlreiche Ämter bei der UNO und der UNESCO.
Liebe Gemeinde,
im heutigen Evangelium haben wir gehört, wie Jesus über und zu den Pharisäern und Schriftgelehrten spricht: er beklagt, dass sie das Wichtigste im Gesetz außer Acht ließen: Gerechtigkeit – oder Recht -, Barmherzigkeit und Treue, was man auch als Glauben übersetzen kann.
Eine interessante Kombination – wir kennen vor allem die paulinische Trias: Glaube, Hoffnung, Liebe.
Hier nun bei Matthäus finden wir ebenfalls den Glauben (πιστIσ), aber auch die Gerechtigkeit sowie die Barmherzigkeit.
Die Gerechtigkeit wird von der Antike bis zur Neuzeit, auch in anderen Religionen, wie zum Beispiel dem Konfuzianismus, immer unter den Tugenden geführt.
Sie gilt sogar als eine der so genannten Kardinaltugenden, was nichts mit einem kirchlichen Kardinal zu tun hat, sondern mit dem lateinischen Wort „cardo“ für die Türangel, wie der große mittelalterliche Philosoph Thomas von Aquin in seinem Werk über die Tugenden schreibt: „Eine Tugend heißt Kardinal- bzw. Haupttugend, weil an ihr die anderen Tugenden befestigt sind wie die Tür in der Angel.“
Gerechtigkeit – also etwas Grundlegendes. Vielleicht sogar im Menschen grund-gelegtes? Zumindest kommt es mir so vor, wenn ich mich kleineren Kindern zu tun habe: „Das ist ungerecht.“- so schallt es da sehr schnell, wenn es irgendwo vermeintlich nicht ganz gerecht zugeht, wenn jemand anscheinend bevorzugt oder benachteiligt wird.
Der Begriff „Gerechtigkeit“ wird zunächst oft direkt auf Personen bezogen. Dies ist nur zu verständlich – einfach mal von einem selbst ausgehend: wer möchte schon ungerecht behandelt werden? Und wie viel Unrecht geschieht Menschen in dieser unserer Welt! Zum Glück gibt es auch Organisationen wie zum Beispiel amnesty international, die sich vehement für Menschen einsetzen, die zu Unrecht verurteilt werden.
Aber in Sachen Gerechtigkeit geht es ebenso um die gerechte Verteilung der Güter dieser Erde, die ja letztendlich wieder den Menschen zu Gute kommt.
Beides war und ist Rigoberta Menchú ein großes Anliegen – „Ich blicke in den Himmel, und ich stehe mit beiden Beinen auf der Erde.“ – so hat sie einmal gesagt.
Sie hat sich selbst als einen religiösen Menschen bezeichnet, und für mich ist sie eine Frau, die der Gerechtigkeit in dieser Welt ein Gesicht gibt.
Gerechtigkeit, wollte sie, Gleichwertigkeit für die indigenen Völker, nicht mehr und nicht weniger als das. Und damit ist sie auch ganz an der Bibel dran. Wenn als Beispiel für Gerechtigkeit das bekannte „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ aus dem Pentateuch, den fünf Büchern Mose, zitiert wird, dann ist damit nicht eine Aufforderung zur Rache verbunden, sondern ein Gebot zur Mäßigung: nicht mehr als der Zahn bzw. die Entschädigung dafür steht einem zu.
Nicht mehr als das, was ihrem Volk zusteht, an Menschenwürde, aber auch an Besitztum, das war es, wofür Rigoberta Menchú auch heute noch eintritt.
In unserem heutigen Evangelium wird Aufforderung zur Gerechtigkeit aber sogar noch erweitert, um die Barmherzigkeit. Spontan kam mir das Sprichwort „Gnade vor Recht ergehen lassen“ in den Sinn. Barmherzigkeit bedeutet für mich zum Beispiel:
- nicht auf Gedeih und Verderb Recht behalten müssen
- mit einem anderen Mitleid haben
- großzügig sein können
- anderen vergeben.
- also nichts anderes, als das, was uns Jesus Christus mit seiner Botschaft, mit seinem ganzen Leben vermitteln wollte.
Liebe Gemeinde,
„Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben.“ – so steht es in der Bibel im 12. Kapitel der Sprichwörter.
Ich lade Sie ein, sich einmal zu überlegen, wie sie in diesem Advent den Weg der Gerechtigkeit gehen können und so das Leben zu finden.
Amen
© B. Vallendor, 2015
Hier finden Sie die Predigt im pdf-Format.