Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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Weihnachten: "Glauben"

Lesung: Gen 28, 10-15

Jakob zog aus Beerscheba weg und ging nach Haran.
Er kam an einen bestimmten Ort, wo er übernachtete, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein.
Da hatte er einen Traum: Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder.
Und siehe, der Herr stand oben und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich unaufhaltsam ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden und durch dich und deine Nachkommen werden alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.
Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe.

Evangelium: Joh 1,1-5.9-14

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

 

Predigt

Liebe an Weihnachten versammelte Gemeinde

Immer um Neujahr wird im Kloster Kellenried eine schöne Tradition lebendig:

Die Gäste, die um diese Zeit ins Kloster kommen, dürfen aus einer kleinen Kiste einen „Engel“ für das kommende Jahr ziehen.
Eine der Ordensfrauen dort nimmt sich viel Zeit und schreibt auf viele kleine Zettel ganz unterschiedliche Engel.

Da steht dann vielleicht „Engel des Mutes“ oder „Engel des Verzichts“. Es gibt einen „Engel des Abschiednehmens“ und einen „Engel des Sich-Überlassens“, einen „Engel der Dankbarkeit“ und einen „Engel des Verzeihens“, einen „Engel der Wahrhaftigkeit“ und einen „Engel der Ehrfurcht“. Und noch eine ganze Reihe anderer Engel stehen da auf den Zetteln.
Ich kenne die Ordensfrau in Kellenried. Sie hat mich eine Zeit lang begleitet, und ich schätze sie als weise Frau und als gut informierte und auch kirchenkritische Theologin. Und wenn Schwester Immaculata ihren Gästen um die Jahreswende diese Kiste mit den eingerollten Engel-Zetteln hinhält, dann ist das viel mehr als eine nette Neujahrsidee.
Sie verbindet damit den Wunsch, dass alle, die einen solchen Engel mit nach Hause nehmen, genau diese Haltung, die da auf dem Zettel steht, im kommenden Jahr auch tatsächlich einüben:
Das Freisein oder die Zärtlichkeit oder die Entspannung.
Und weil es uns Menschen nicht immer leicht fällt, uns selber einzugestehen, dass wir an unserer inneren Haltung und dann auch am Verhalten anderen gegenüber etwas ändern sollten – deshalb soll uns dieser besondere Engel begleiten. Die Ordensfrau in Kellenried möchte, dass er uns übers Jahr immer dann Mut macht, wenn uns schon die kleinen Schritte bei unserer eigenen Wandlung schwer fallen.

Engel – so wie sie uns in Kellenried geschenkt werden – sind an der Seite der Menschen und begleiten sie auf dem Weg ihrer ganz persönlichen Mensch-Werdung.

Mir gefällt dieses Bild:
Unser christlicher Gott schickt Engel in unsere Welt, und sie halten in uns Menschen die Hoffnung wach, dass wir uns im Laufe unseres Lebens wandeln können und dürfen und so zu uns selber finden.

Engel tun uns Menschen gut –
auch in der alttestamentlichen Lesung am heutigen Weihnachtsfeiertag. Jakob sieht da im Traum, wie Engel auf einer Leiter zwischen Himmel und Erde auf- und abgehen. Diese Engel erzählen uns davon, dass die himmlische Welt und unsere irdische wie über eine Leiter verbunden sind. Dieses Bild im Buch Genesis hält die Sehnsucht in uns Menschen wach, dass die Begegnung dieser beiden Welten tatsächlich möglich ist – schon zu unseren Lebzeiten!
Und es sind die Engel, diese Wesen zwischen Himmel und Erde, die uns Menschen immer wieder in der Bibel auf die Idee bringen, dass wir Menschen das Undenkbare denken sollen: Die Begegnung zwischen Gott und uns Menschen – Schritt für Schritt – Stufe für Stufe – dem offenen Himmel entgegen!

Wenn sich die Verfasser des Buches Genesis nicht täuschen, dann glauben wir Christinnen und Christen – und mit uns übrigens auch die Juden und die Muslime – an einen Gott, der auf uns Menschen zukommt.
Es ist eben kein Gott, der irgendwann am Anfang der Zeiten das Universum und das Leben auf dieser Erde und die Evolution ermöglicht hat und der sich dann aber in seine göttliche Wirklichkeit zurückzieht.
Alle 3 großen Religionen glauben an den Gott, der sich öffnet und in Berührung sein will mit der Welt von uns Menschen.
Die Juden glauben daran, dass Gott dem Abraham und dem Jakob und  den Propheten begegnet ist, genauso wie die Muslime darauf vertrauen, dass unser Gott zu Muhammad, ihrem Religionsgründer, gesprochen hat.
Und wir Christen glauben daran, dass sich Gott auf ganz herausragende Weise im Menschen Jesus von Nazareth unserer Welt zeigt.

Gott hält seinen Himmel offen! –

und das verkündet auch Johannes so -  der Schreiber unseres heutigen Weihnachtsevangeliums.
Sein Prolog, dieses Loblied auf unseren Gott und auf sein göttliches Wort ist ein herausragendes sprachliches und theologisches Kunstwerk im Neuen Testament:
Keine Reise nach Bethlehem bei Johannes! Keine Krippe! Keine Engel und keine Hirten! Das sind die Bilder von der Geburt Jesu im Lukasevangelium!
Der Evangelist Johannes kennt das alles nicht – oder es ist im wichtiger die Geburt des Kindes theologisch zu deuten.
Und deshalb erzählt Johannes vom offenen Himmel, aus dem – wie auf einer Leiter – das göttliche Wort im Menschen Jesus von Nazareth auf unsere Erde herabsteigt und dann zu uns Menschen auf eine Weise spricht, die wir auch mit unseren menschlichen Sinnen erfassen können!

         „Und das Licht leuchtet in der Finsternis.“

Johannes, der Denker und Theologe unter den 4 Evangelienschreibern deutet so die Geburt Jesu:
Das zur Welt gekommene Wort unseres Gottes -  ausgesprochen aus dem Munde des Mannes aus Nazareth – macht jede Dunkelheit im Leben von uns Menschen hell.
Das hat die Sünderin so erlebt, die Jesus mit wohlriechenden Ölen die Füße gesalbt hat und die bis dahin keinen Funken Hoffnung mehr in ihrem Leben gesehen hat.
Und das ist auch die Erfahrung der Frau gewesen, die so lange unter Blutungen gelitten hat und ausgegrenzt wurde und am Ende ihrer Kräfte war bis zu dem Tag, an dem sie Jesus begegnet ist.
Im wärmenden, göttlichen Licht, das dieser Jesus von Nazareth wohl ein Leben lang ausgestrahlt hat, schmilzt das Eis, das uns Menschen im Alltag erstarren lässt und leblos macht und unglücklich!

In der Begegnung mit Jesus sehen, hören, spüren, riechen und schmecken wir Menschen bis heute, wie der Himmel ist.
Ich selber spüre immer mehr – je älter ich werde – dass die Berührung mit dem Göttlichen bis heute die Menschen aufrichtet: Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche. Sie lässt uns freier atmen, sie heilt und gibt Kraft.

An so einen wunder-vollen Gott glauben wir Christen!!

Und deshalb schreibt Johannes in so leuchtenden Bildern vom göttlichen Wort: ein Licht, das Leben ermöglicht schon bei der Erschaffung der Welt und das die Menschen zum Leben bringt -  bis heute:

macht-voll, liebe-voll, ewig -  göttlich!

„Der Himmel ist offen und in der Begegnung mit dem erwachsenen Kind von Bethlehem sehen, hören und spüren wir, wie unser Gott ist!“

Wenn wir Christinnen und Christen den Mut haben, so zu glauben, dann könnten jedem und jeder von uns Flügel wachsen!
Wir könnten dann selber immer wieder zu Engeln werden und an der Seite der Menschen in unserer Nähe sein, wenn sie auf der Suche sind nach sich selber und nach unserem Gott:
Ganz beflügelt, ganz begeistert miteinander die Lebens- und Gottesidee des Mannes aus Nazareth weitersagen, hineinsagen in unsere manchmal auch dunkle Zeit!

Ich mache als Seelsorgerin die Erfahrung, dass ganz viele Menschen auch hier, in unserem Land, erfüllt sind von dieser Sehnsucht nach dem Göttlichen. Ich spüre diese Ahnung in Gesprächen – besonders auch mit jungen Leuten – dass es da „etwas“ geben muss jenseits unserer menschlichen Vorstellungskraft -  „etwas“, das wir mit unseren 5 Sinnen nicht erfassen können und das hinausragt über unsere Welt. Und dann höre ich aber gleichzeitig auch, dass immer weniger Menschen diese Begegnung mit dem Göttlichen und die Antworten auf ihre Fragen im Glauben und nach Gott in unserer Kirche suchen. Ohnmacht spüre ich dann, und ich frage mich, wie unsere so wertvolle christliche Botschaft auch in den nächsten Jahrzehnten bei den Menschen ankommen soll, wenn immer mehr der Ort fehlt, an dem unser Glauben gelebt und gefeiert wird. Und dann wünsche ich mir den Engel der Freiheit und des Mutes für uns alle – aber auch für die Verantwortlichen in unserer Kirche, dass sie weniger verordnen und mehr das Gespräch suchen: ergebnisoffen und wirklich bereit zum Wandel.

Ich bin mir sicher: In unserem Land ist das Glauben auch eine Vernunftentscheidung. Viele Getaufte möchten als aufgeklärte Menschen auch verstehen, was sie glauben. Und gleichzeitig haben wir von  großen deutschen Denkern wie dem Philosophen Immanuel Kant oder dem Moraltheologen Alfons Auer gelernt, dass der Mensch ein mit Vernunft begabtes Wesen ist, das selber denken und  mit dem eigenen Gewissen Entscheidungen treffen kann: auch vor Gott.
Da unterscheiden wir uns vielleicht von der indischen oder von der afrikanischen Kirche.

Und deshalb dürfen wir uns als Glaubende zutrauen, dass wir auch eigene Wege in Richtung Himmel gehen können. Der Mann aus Nazareth zeigt uns die Richtung, bringt uns auf neue Ideen und gibt uns seine göttliche Kraft. Von ihm kommt ja der Auftrag an uns alle, dass wir die unglaubliche Botschaft weitersagen sollen: Gott hält für uns Menschen den Himmel offen  – nicht nur an Weihnachten!

 

Liebe Gemeinde,

„Glauben heißt, den Himmel offen sehen – und dann wachsen uns Menschen Flügel!“

 

Ich nehme einmal an, dass bei den meisten von Ihnen jetzt, über Weihnachten, irgendwo in Ihrer Wohnung ein Engel steht – oder hängt.

Und ich schlage Ihnen vor, dass Sie diesem Engel auch nach Weihnachten einen Platz bei Ihnen daheim oder in Ihrem Herzen geben. Und dann überlegen Sie doch einmal ganz für sich, welcher Engel für Sie im kommenden Jahr am wichtigsten wäre: auf Ihrem Weg der Mensch-Werdung und auf Ihrem Weg mit Gott.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie im Laufe des Jahres immer wieder spüren, wie gut es uns Menschen tut, wenn wir einen Engel an unserer Seite haben, der uns beflügelt.

Mir tun die Engel aus Kellenried gut. Und ich bin mir sicher:

Auch Ihr Engel daheim verwandelt Sie – weit über Weihnachten hinaus.

Amen

© A. Böhm 2010

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.