Katholische Seelsorgeeinheit Ravensburg West

Pfarrbüro der Seelsorgeeinheit
Ravensburg West
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Weihnachten

Lesung: Jes 52, 7-10

Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.
Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln. Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt.
Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem.
Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.

 

Evangelium: Lk 2, 15-20

Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ.
So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.
Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war.
Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten.
Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.
Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten; denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war.

 

Predigt

Liebe am heutigen Weihnachtstag versammelte Gemeinde!

Mögen Sie raten?

Von welchem großen deutschen Schriftsteller könnten die folgenden Gedanken stammen?

„Wir sind mit dem irdisch befleckten Auge gesehen in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind und zwar an einer Stelle, wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, dass der Blick es immerfort suchen muss und immerfort verliert, wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind.“

(aus: Franz Kafka, Im Tunnel)

Was ich Ihnen gerade vorgelesen habe, ist der Anfang einer Parabel von Franz Kafka – der große Denker am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Mich lässt diese Erzählung nicht los, weil ich denke: Franz Kafka sagt mit diesem Bild vom Tunnel viel Wahres über unser menschliches Leben.

Er vergleicht unsere Lebenszeit hier, in dieser Welt, mit einer Reise durch einen dunklen Tunnel, die unglücklich endet.

Es gehört zu Kafka, dass er in vielen seiner Werke besonders das Ausweglose und das Tragische im Leben von uns Menschen in den Blick nimmt: Ohnmacht, Scheitern, Verzweiflung. Und aus dieser Grundstimmung heraus ist wohl auch diese Parabel „Im Tunnel“ entstanden.

Ich selber hab das Gefühl, dass für gar nicht so wenige Menschen heute ihre Reise durch die Zeit alles andere als das pure Glück ist.

In den jetzt zurückliegenden Adventswochen sind mir eine ganze Reihe von Menschen begegnet – jüngere und ältere – die sich nach einem solchen Lichtblick am Ende ihres düsteren Lebenstunnels gesehnt haben:

Weil die Tochter mit gerade mal 20 Jahren verunglückt ist.

Weil sich der Krebs als unheilbar gezeigt hat.

Weil die Lebenspartnerin den Autounfall nicht überlebt hat.

Oder weil junge Leute damit fertig werden mussten, dass einer ihrer Freunde mit 19 Jahren keinen anderen Weg mehr gesehen hat, als sein Leben auf den Eisenbahngleisen zu beenden.

Unterwegs sein im dunklen Tunnel des eigenen Lebens und dabei der Welt der Verzweiflung begegnen, der Trauer und immer wieder der Frage: „Warum?“ – „Was ist der Sinn?“

Franz Kafka sieht das schon richtig:

Wir Menschen – und erst recht wir Christen – sehnen uns danach, dass uns am Ende unserer Lebensreise ein helles, warmes – vielleicht sogar ewiges Licht entgegenstrahlt. Aber eine Gewissheit, dass das so sein wird,  gibt es für uns Menschen in dieser Welt nicht.

„…wobei das Licht des Anfangs und das Licht des Endes nicht einmal sicher sind.“

Was hilft in einer solchen Situation, die Franz Kafka in seiner Tunnel-Erzählung beschreibt: Zug entgleist, kein Weiterfahren mehr möglich, Menschen schreien nach Hilfe, Chaos, Verzweiflung?

In einer solchen Situation sind Menschen hilfreich, die es schaffen, die Ruhe zu bewahren und klar zu denken: Trotz allem!!

Und was hilft uns Menschen heute auf unserer Lebensreise, wenn wir stecken bleiben im Dunkel philosophischer Fragen, oder im Dunkel der eigenen Verzweiflung und Angst, weil uns Schmerzvolles und Unbegreifliches nicht erspart bleibt?

Auch in diesen Situationen helfen Menschen weiter, die in sich selber ruhen und Hoffnung ausstrahlen, die zum Lichtblick in dieser Welt werden: Trotz allem!!

Einen solchen Menschen möchte ich Ihnen heute, in diesem Weihnachtsgottesdienst mit auf Ihre Lebensreise schicken:

Maria, die Frau, die Jesus zur Welt gebracht hat.

Sie kennen sie alle! Manche von Ihnen verehren sie, nehme ich an. Andere tun sich vielleicht schwerer mit dieser Frau – oder vermutlich eher damit, was Menschen im Laufe der Geschichte der Kirche  aus ihr gemacht haben.

Mich selber fasziniert die junge Jüdin, Mirjam – die Maria, wie sie uns in der Bibel begegnet.

Und es ist vor allem der Evangelist Lukas, der sich für die Frau interessiert, die ein Leben lang an der Seite des Mannes aus Nazareth gewesen ist.

Markus und Johannes erzählen in ihren Evangelien gar keine Kindheitsgeschichte – bei Markus wird Maria im gesamten Evangelium nur einmal erwähnt.

Bei Lukas dagegen wird sie zur herausragenden Jüngerin, zu einer Frau, die uns Christen bis heute viel zu sagen hat.

Und das schon, bevor Jesus geboren ist.

Lukas erzählt uns davon in der Verkündigungsgeschichte – mit seinen Bildern.

Der Engel kommt, und Maria hört den göttlichen Plan:

Sie wird ein Kind in unsere Welt bringen:

Damit das Göttliche bei uns Menschen ankommen kann!

Damit wir alle jetzt  schon, in dieser Welt ahnen, wie Gottes Welt ist – weil wir dann den erwachsenen Jesus erleben: Mit seinen Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit und mit seinem Bild von Gott, der ganz ohne Bedingungen liebt.

Und Maria? – „Mir geschehe nach deinem Wort!“, sagt sie.

Maria hält das Unmögliche für möglich. Sie glaubt daran, dass sich die Welt Gottes und unsere irdische Welt begegnen können.

Welten begegnen sich tatsächlich in dieser einfachen jüdischen Frau, weil Maria sich für das Unbegreifliche öffnet.

„Der Heilige Geist wird über dich kommen!“, sagt der Engel zu Maria.

Immer dann, wenn sich diese beiden Welten begegnen, dann wird sie spürbar: die Kraft, die wir Christen „Heiliger Geist“ nennen. Dann strömt uns Menschen ganz offensichtlich eine Kraft zu, die nicht aus uns selber kommt, sondern von Gott - auf unvorstellbare und wundervolle Weise!

Maria ist so ein Mensch, die offen ist für diese göttliche Kraft: mit allem, was zu ihr als Frau gehört! Und unsere Kirche bringt das mit dem Begriff der „Jungfrau“ zum Ausdruck:

Maria ist empfänglich für die göttliche Welt und gleichzeitig ganz bei sich selber. Sie ruht in sich.

Und so begegnet sie uns auch im heutigen Evangeliumstext.

Da sagt Lukas über sie:

„Maria bewahrte alles in ihrem Herzen.“

Die junge Mirjam hört von den Hirten, dass mit ihrem Sohn die göttliche Welt in der unseren aufstrahlt: Frieden und Freude aus einer anderen Welt!

Und wieder öffnet sich Maria ganz für diese Nähe unseres Gottes, die sie dieses Mal in der Begegnung mit den Hirten spürt.

 ÏƒÏ…μβάλλειν  steht im griechischen Urtext und bedeutet wörtlich: „zusammenwerfen“, „zusammenfügen“.

Maria fügt in ihrem Herzen die Bilder aus der göttlichen Welt zusammen, die sie in ihrer Welt verstanden hat.  Aber eben nicht nur im Kopf, sondern auch in ihrem Herzen, weil sie da wohl diese Sehnsucht nach dem Licht – nach dieser Welt unseres Gottes gespürt hat.

Und eben diese Sehnsucht nach dem Göttlichen in ihrem Leben und die die Offenheit, dass Gott uns Menschen auch Ãœberraschungen auf unserer Lebensreise zumutet, das macht Maria zur vorbildlichen Jüngerin – bis heute. 

Und diese Jüngerin Maria würde uns Christen heute in aller Klarheit sagen:

Auch den Menschen, die Gottes Nähe in ihrem Leben ahnen, bleiben bittere Tunnel - Erfahrungen nicht erspart.

Maria selber kennt ja diese Ohnmacht. Sie hat völlige Hilflosigkeit und Verzweiflung erlebt, als der Weg ihres Sohnes nach Jerusalem und zur Verurteilung geführt hat. Maria steht unter dem Kreuz – so erzählt uns der Evangelist Johannes – und auch sie hat ganz sicher in dieser Situation nach dem Lichtblick am Ende des Tunnels gesucht!

Und dann wird es ihr auch tatsächlich noch einmal geschenkt:

Dieses wärmende, göttliche Licht! Sie ist dabei, als Jesus seine Jüngerinnen und Jünger die Kraft aus der göttlichen Welt auf ganz neue Weise spüren lässt – nach seinem Tod!

„Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern!“ – so heißt es in der Apostelgeschichte.

Hier haben unsere christlichen Kirchen ihren Ursprung – und Frauen waren als Jüngerinnen mit dabei: Kein Zweifel! Hätten doch damals die Männer den Mut gehabt, Maria als Nachfolgerin des Judas zur Apostolin zu wählen, dann hätte es in unserer Kirche...na,ja, bloß so ein Traum!

Die Sehnsucht nach dem Licht ist groß –

diese Sehnsucht, dass sich die 2 Welten berühren! Auch heute noch!

Jesus, der Mann aus Nazareth, auf den wir uns als christliche Kirchen berufen, hat sich sein Leben lang ganz besonders den Frauen und Männern zugewandt, die auf ihrer Reise durch die Zeit viel Dunkles erlebt haben: der gekrümmten Frau, den trauernden Schwestern, der Frau, die gesteinigt werden sollte, dem Mann, der gelähmt war, den ungeliebten Zöllnern…Mit Mut und mit der Kraft aus dieser anderen Welt ist er auf seine Art unterwegs gewesen durch die Zeit. Und von diesem Jesus haben wir Christen den Auftrag, dass wir alle, als Getaufte, besonders an der Seite der  Menschen sein sollen, die in ihren Tunnel-Ereignissen keinen Lichtblick mehr sehen!

Und dann berühren sich die Welten.

Hier unterscheiden wir Christen uns eindeutig von Franz Kafka:

Von Jesus Begeisterte können sich gar nicht damit abfinden, dass Menschen auf ihrer Reise durch das Leben verzweifelt sind und keinen Weg mehr sehen, und dass das einfach so ist. Wir Christen vertrauen darauf, dass schon ein kleiner Schritt, dass ein einziges Wort die Welt eines Menschen im Dunkel seines Lebens verändern kann.

Ich bin ganz sicher, dass die Zukunft unserer christlichen Kirchen davon abhängig sein wird, ob uns das als Nachfolgerinnen und Nachfolger des Mannes aus Nazareth gelingt.

Die Sehnsucht bei den Menschen nach dem Licht ist groß –

und es macht mich traurig, wenn ich sehe, dass immer weniger Menschen unserer Kirche zutrauen, dass es da Frauen und Männer in dieser Kirche gibt, die Zeit haben und die mit einer inneren Ruhe und Gelassenheit und mit der Kraft unseres Gottes mit ihnen im Tunnel ihres Lebens unterwegs sein möchten.

Ob die Mächtigen in unserer Kirche das wohl auch so sehen? Und was tun sie dafür, dass das Vertrauen der Menschen in unsere Kirche wieder wächst?

Es wird erzählt, dass unser Papst jetzt seine Privatkapelle umgestalten will, damit er wieder vom Volk abgewandt zelebrieren kann.

Ich hab den Eindruck, dass immer weniger Getaufte in diesen Zug nach rückwärts einsteigen wollen – hinter die Beschlüsse des 2.Vatikanischen Konzils zurück.

Und ich merke immer mehr: Da bleibe ich lieber bei denen am Bahnsteig stehen, die von einer solchen Kirche enttäuscht sind, die aber diese Sehnsucht nach dem Licht immer noch in ihren Herzen haben.

Und dann vertrauen wir miteinander darauf, dass der Heilige Geist auch weiterhin uns Menschen auf den Gleisen unseres Lebens in die Zukunft und in die Weite führt.

Liebe Gemeinde,

ich wünsche Ihnen allen diese Kraft aus der himmlischen Welt  und dass sich in Ihrem Leben die beiden Welten begegnen mögen: die göttliche und Ihre eigene Lebenswelt – und das nicht nur an Weihnachten.         

Amen.

 

©  A. Böhm, 2009

 

HIER finden Sie die Predigt im pdf-Format.