Paul Widmaier

"Das Jahr 1908 brachte der Gemeinde einen neuen Pfarrer in der Person des Hochw. Herrn Kaplans Paul Widmaier von Gmünd. Allem nach war er ein kerniger Mann und in der Wahl seiner Worte nicht zimperlich: Als er wieder einmal einen Mann auf der Frauenseite in der Kirche entdeckte, rief er laut: "Schon wieder so ein Gockeler unter den Hennen!" Unter der rauhen Schale schlug aber ein verstehendes, mildtätiges Herz. So kleidete er arme Erstkommunikanten ein und spendierte allen zum Fest Limonade und Wurst. Häufig bezahlte er die Verköstigungen für Dienste im Pfarrbereich aus eigener Tasche. Besonders die Ministranten schätzten solche Wohltaten in der damals kargen Zeit. Widmaier förderte begabte Kinder und kümmerte sich selbst um notwendige Nachhilfe. Er erreichte, daß sich die Schüler von St. Christina am Rutenfestumzug beteiligen durften. Damit wurde dieser bislang traurige Tag für die Kinder aus St. Christina auch zum Freudenfest. "Er hinterließ bei seinem Tod gar nichts, weil er alles verschenkt hatte." Die Pfarrchronik füllte er Seite um Seite ausführlicher als alle seine Vorgänger. Ordnung und Sauberkeit in der Kirche, im Pfarrhaus, im Garten und vor allem auf dem Friedhof waren ihm wichtig. Er beschäftigte sich mit dem Schulbetrieb auf St. Christina und urteilte oft kritisch. Jährlich erwähnt er die festliche Begehung des Kirchenpartroziniums, des Nepomukbruderschaftsfestes, der Prozessionen und Erstkommunionen mit Bemerkungen wie: "Bei schönstem, etwas frischem Wetter ... in bester Ordnung ... ohne Unfälle ... Beteiligung gut ... Betragen gut ..." Am Blutfreitag war er auch bei den Reitern.

1909 berichtete er, daß er die bis dahin nicht eingeweihte Kapelle in Knollengraben von der Witwe Maximiliane Wiest aus Schornreute erworben hat, die diese ihrerseits von Josef Grabherr gekauft hatte. Mit der Einweihung hatte endlich "der leidige Kapellenstreit" ein Ende gefunden. Widmaier ließ Chorgestühl, Kirchenbänke, Orgelempore ausbessern und kümmerte sich um neue Glocken. Am 28.03.1911 war die feierliche Glockenweihe. Als 1917 ein Großteil der Glocken im Land eingeschmolzen wurde, blieb das ganze Geläute "infolge seiner hohen Klang-Schönheit" erhalten. Ein Jahr zuvor "schlug zum erstenmal vom Turme herab die Turmuhr. Seit die Uhr schlägt, kommt es einem hier oben nicht mehr so einsam vor ..." 1918 wird Widmaier zum Kämmerer, 1920 zum Dekan gewählt und 1925 zum päpstlichen Ehrenkämmerer mit dem Titel Monsignore ernannt.

Seltsamerweise fehlen Einträge des Kriegbeginns 1914 und des Kriegsendes 1918; nur die Abdankung des Württembergischen Königs ist festgehalten. Regelmäßig erscheinen die Requien für die gefallenen Soldaten in der Chronik. Trotz der harten Nachkriegsjahre war 1921 "der Gesundheitszustand der Gemeinde gut", dafür war 1922/23 "alles sehr rar und teuer ... bittere Armut und Not" herrschten, nur der "Bauernstand hat goldene Zeiten." 1933 wird das Pfarrhaus gründlich renoviert. Bei seinen Aufschrieben in der Chronik übergeht Widmaier im wesentlichen die damalige politische Situation. Einen Zeitungsartikel aus dem Jahre 1935 über die Verurteilung des früher auf St. Christina tätigen Vikars Benedikt Schmid wegen Volksverhetzung durch ein Sondergericht zu neun Monaten Gefängnis kommentiert er: "Er war sonst ein großer Schweiger". Aufbewahrt in der Chronik ist die mutige Predigt des Bischofs Sproll, gehalten anläßlich der Männerwahlfahrt am 14. März 1935. Seine bekannte Abneigung gegenüber dem Nazi-Regime hält der Pfarrer von St. Christina in der Chronik nicht fest. Nüchtern ist am 10. Februar 1939 eingetragen: "An diesem Tage habe ich die letzte Religionsstunde in der Schule gehalten. Allen Geistlichen wurde der Religionsunterricht in der Schule verboten."

Am 26. Juni 1939 starb Paul Widmaier im Alter von 72 Jahren. Vikar Wilhelm Klink führt die Chronik weiter: "Den Schulkindern von St. Christina, die in rührender Anhänglichkeit ... ein Sträußlein mitgebracht haben, wurde es untersagt, an der Beerdigung teilzunehmen ..." 140 Geistliche und die ganze Gemeinde fanden sich auf dem Friedhof ein, noch Monate später war "das Grab des † (= Verstorbenen) jeden Sonntagmorgen von Betern umlagert."

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