Die Legende

Das kleine Landstädtchen Bolsena liegt an der Via Cassia, einer seit der Römerzeit strategisch wichtigen Straße, dem späteren Pilgerweg nach Rom. Zur Zeit des Kaisers Diokletian (um 300 n.Chr.), der als letzter grausamer Christenverfolger gilt, war Bolsana, ein reich bevölkerter und belebter Handelsplatz mit starker Garnison und einem bekannten Grottenheiligtum, das Apollo geweiht war. Doch das Christentum hatte in Bolsena bereits festen Fuß gefaßt. Die Legende erzählt von der jungen Christina, die um diese Zeit in einem vornehmen, reichen Hause aufgewachsen ist. Sie wird Christin und sich weigert, den Göttern das allmorgendliche Weihrauchopfer darzubringen. Der Vater will sie zwingen, da zerstört sie die goldenen und silbernen Standbilder. In zorniger Angst vor der Rache der Götter schlägt er die Tochter mit Ruten und zerrt sie vor den Richter. Christina bleibt trotz Folterqualen standhaft. Mit einem Mühlstein um den Hals wirft man sie in den See. Sie geht nicht unter. Siedendes Öl, Bisse giftiger Vipern, selbst Einschließen in einen brennenden Ofen übersteht sie unbeschadet. Im Tempel des Apollo soll sie der Gott richten. Auf ihr Gebet stürzen die Götzenbilder in den Staub. Nach dem Willen Gottes töten sie schließlich zwei Pfeile, die ihr Herz durchbohren.

Historische Belege für die tatsächliche Existenz der Heiligen Christina fehlten; das tat der frommen Verehrung der Heiligen jedoch keinen Abbruch. 1880 entdeckte man in Bolsena unter dem Altar der unterirdischen Basilika einen Basalt-Sarkophag. In ihm lag ein kleinerer aus Marmor mit der Inschrift: "Hier ruht der Leib der Hl. Christina." Forschungen hierzu ergaben, daß schon bald nach dem Tode der Märtyrerin ihre Grabstätte hoch verehrt worden ist. Zur Zeit der Barbaren-Einfälle (535 - 552) wurde die kostbare Reliquie auf der Martana-Insel im Bolsenasee versteckt. Eine tief verwurzelte Tradition in Bolsena besagt, daß Mathilde von Tuszien (gelegentlich auch von Canossa) die Reliquie wieder nach Bolsena zurückbrachte. Man schreibt Mathilde auch den Bau der neuen Basilika am Ort der angenommenen Grablege zu. Entgegen der 1880 vertretenen Meinung, den ursprünglichen Sarg der Märtyrerin gefunden zu haben, stellten Archäologen später fest, daß der Sarkophag nicht die erste Grablege Christinas gewesen sein konnte. Bei weiteren Grabungen wurden Spuren einer kleinen Grabkammer entdeckt, genau unter dem oben beschriebenen Sarkophag im Bereich der Christina-Katakomben. Man glaubt fest, damit die eigentliche Begräbnisstätte der Heiligen entdeckt zu haben. So werden die Pilger von jeher am richtigen Ort zur Heiligen Christina gebetet haben. Der historische Kern der Legende hatte sich offenbart.

Die Attribute der Heiligen Christina sind Armbrust, Messer, Mühlstein, Pfeile, Schiff, Schlangen. Wegen des Mühlsteins um den Hals gilt Christina als Patronin der Müller und der Seeleute. Zugleich ist sie Patronin der Bogenschützen, weil Pfeile sie töteten. Wir finden schon in der frühen Gotik Christina-Darstellungen. Im gut erhaltenen, bekannten Kreuzgang des Brixener Doms sieht man an der Westwand Fresken aus der Zeit um 1330, die das Martyrium der zarten Jungfrau drastisch erleben lassen. Skulpturen, Stiche, Gemälde sind vor allem südlich der Alpen anzutreffen. Doch auch in unserer nächsten Umgebung begegnen wir der Heiligen in der Kunst. In Weißenau steht über den Säulen des Hochaltars eine Christina-Skulptur; auch das Chorgestühl schmückt eine Christina. Unsere Pfarrkirche beherbergt eine Plastik sowie ein Altarbild und zeigt Darstellungen der Heiligen im linken Chorfenster.

Die Reliquien

Wie schon erwähnt dürften bei der Gründung der Kapelle St. Christina vor mehr als 800 Jahren Reliquien der Heiligen in den Altar gelegt worden sein. Näheres ist nicht bekannt. Die Chronik der Pfarrei St. Christina enthält einen Zeitungsartikel vom 30.07.1922: "Herzog Wilhelm V. von Bayern, genannt der Fromme, erhielt im Jahre 1613 auf seine dringende Bitte vom dem Abt des Prämonstratenserklosters Weissenau, Jakob Mayer, das Haupt der hl. Christina, welches bisher in der Kirche der Klosterpfarrei St. Christina aufbewahrt war ... Zum Dank hierfür erhielt das Kloster Weissenau ... im Jahre 1659 einen kostbaren violetten Ornat. Ob sich wohl das Haupt der hl. Christina in München befindet?" Bei Erkundigungen über den Verbleib der Reliquie war nur zu erfahren, daß neuerdings in Bayern bei Einweihung von Altären Christina-Reliquien eingelegt werden.

Nach Tüchle sind Reliquien und Verehrung Christinas schon früh bezeugt, im sechsten Jahrhundert in Ravenna, 930 auf der Reichenau, 1091 in Hirsau, 1172 in Weißenau.

Kontakte nach Herzebrock/Westfalen ergaben, daß in der dortigen Christinenkirche das Haupt der Heiligen in einem kostbaren Reliquienschrein in Ehren gehalten wird. Aus einem Kirchenvisitationsbescheid des Bistums Straßburg von 1666 läßt sich für Fautenbauch, heute Achern/Kaiserstuhl, die "himmlische Patronin der Kirche St. Christina, Martyrin" nachweisen. Diese Kirche dient seit 1958 nicht mehr religiösen Zwecken, jedoch wird weiterhin alljährlich das Patrozinium der Heiligen Christina in der neuen Pfarrkirche des "seligen Markgrafen Bernhard von Baden" begangen. Weitere Orte mit Christinen-Kirchen konnten in Deutschland bis jetzt nicht ausfindig gemacht werden. Auf dem Weg nach Italien gibt es im deutschen Sprachraum noch verschiedene Kirchen, die der Heiligen Christina von Bolsena geweiht sind, darunter in Ried/Oberinntal, Lichtenberg bei Mals und Tartsch, beides im Vintschgau, insbesondere St. Christina in Gröden. Von dort soll der Arm der Heiligen Christina in den Brixner Dom gekommen sein.

Für unsere Gemeinde wird eine neue Reliquie der Heiligen Christina anläßlich des Patroziniums 1964 erwähnt. Die Schwäbische Zeitung berichtet: "Am rechten Seitenaltar war eine in Gold gefaßte Reliquie der Märtyrerin Christina aufgestellt. Pater Leutfried erhielt diese aus der Grabeskirche in Bolsena aus der Provinz Toscana in Italien. Ein Ravensburger Goldschmid faßte die Reliquie in Gold." Die Pfarrchronik gibt keinen Aufschluß, wann und unter welchen Umständen Pater Leutfried zu der Reliquie gekommen ist.

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