Historischer Ãœberkblick

Die Entstehung der Stadt Ravensburg unter der Herrschaft der Welfen und später der Staufer dürfte weiten Kreisen bekannt sein. Jedenfalls ist St. Christina eng mit dem fränkischen Grafengeschlecht der Welfen verbunden, welche die Frühgeschichte Ravensburgs prägten. Schon um 800 werden sie in unserem Raum benannt. Sie waren mächtig, reich an Besitz in Schwaben, Bayern und Tirol. Welf III. soll namentlich erwähnt werden; er starb um 1055 und hatte keinen Sohn. Sein Neffe, Sohn einer Schwester, die mit dem Markgrafen Azzo von Este in Italien verheiratet war, übernahm als Welf IV. das Erbe und wurde als Erbauer der Ravensburg (auf dem Plateau der heutigen Veitsburg) für unsere Heimatgeschichte bedeutend. Er war nach Alfons Dreher, dem früheren Stadtarchivar, "unzuverlässig und treulos", kämpfte in der Fehde zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. wechselnd für die weltliche und kirchliche Macht. Der nachfolgende Papst Urban II. "ersah sich den Welfen als Förderer seiner Bestrebungen und vermittelte eine völlig unnatürliche Ehe zwischen Welfs 17jährigem Sohn, Welf V., und der mindestens 25 Jahre älteren Mathilde von Tuszien (Toscana)." Mathilde besaß reiche Güter in Mittel- und Oberitalien. So konnten die Welfen vom Süden her die Alpenpässe besetzen und als Gegner des Kaisers diesen jahrelang hindern, seinen Rachezug nach Rom zu unternehmen.

Welf V. löste später die unglückliche Ehe und heiratete nicht mehr. Sein Neffe Welf VI. erhob nach dem Tode Mathildens Ansprüche auf das reiche Erbe. Von 1152 - 1173 war Welf VI. Markgraf von Tuszien und verwaltete seinen Besitz, zu dem Bolsena gehörte. Dort wurde seit frühchristlicher Zeit die Märtyrerin Christina verehrt. "Es besteht eine Wahrscheinlichkeit, daß die Reliquien der Heiligen Christina von Welf VI. nach Deutschland gebracht wurden und daß er zu ihrer Unterbringung ein Heiligtum in der Nähe seiner wichtigen Burg errichtete." (Dreher) Dies wird die erste Kirche von St. Christina gewesen sein.

Zeitlich vor St. Christina waren in Ravensburg schon zwei Kapellen vorhanden, nämlich St. Michael und St. Veit. Die erstere stand auf halber Höhe des Burgberges beim heutigen Mehlsack und war für den Kirchgang der Bewohner des schon vorhandenen "Marktfleckens" im Bereich der heutigen oberen Marktstraße bestimmt. Die andere, die Burgkapelle St. Veit, diente den Burginsassen als Andachtsstätte. St. Christina war nun die dritte Kirche in der Welfenzeit, die, wie schon erwähnt, als würdiger Aufbewahrungsort der Christina-Reliquien diente. Dazu schreibt Stadtarchivar Dr. Peter Eitel: "Möglich ist auch, daß Hofhaltung und Verwaltung in der Ravensburg so anwuchsen, daß ihre Bediensteten in der Burgkapelle St. Veit nicht mehr genügend Platz fanden und der Welfenherzog deshalb vor den Toren seiner Burg ein zweites Gotteshaus errichten ließ." Diese weitere Gebetsstätte wurde, so mutmaßt Dr. Georg Wieland, mit einem Fronhof nahe der Mündung des Flattbachs in die Schussen ausgestattet, der die wirtschaftliche Grundlage für die Betreuer der Kirche bot. Der halbe Seelsorgesprengel von St. Michael fiel damit der neuen Christinakirche zu.

Alle drei Kapellen waren Eigenkirchen der Welfen, besaßen nach Dreher keine Pfarrechte. Wie diese drei Kirchen pastoral bedeutend geworden sind, ist nicht bekannt. Einzige Taufkirche war in Altdorf-Weingarten.

Der einzige Sohn Welf VI., nämlich Welf VII., war 1167 in jungen Jahren einem Sumpffieber auf einem Italien-Feldzug erlegen. Erbe des Welfenbesitzes im südlichen Schwaben wurde der Neffe Welfs VI., der spätere Stauferkaiser Friedrich Barbarossa. Dessen Sohn, König Philipp von Schwaben, der "liebenswerteste Staufer, redlich und ritterlich wie sein Vater", heiratete 21-jährig die byzantinische Kaisertochter Irene, nach dem zeitgenössischen Dichter Walther von der Vogelweide "eine Rose ohne Dornen - eine Taube ohne Galle". Das neu vermählte Paar weilte auch in Oberschwaben. Bei dieser Gelegenheit schenkte Philipp von Schwaben - seine fromme Frau Irene war nicht unwesentlich daran beteiligt - im Jahre 1197 die Kirche von St. Christina mit allem dazugehörigen Besitz dem Kloster Weißenau. Nach Wieland bestand das Stiftungsgut der Kirche (dos) aus dem oben erwähnten welfischen Fronhof an der Schussen, zu dem ein großer Teil des heutigen westlichen Stadtgebiets gehörte, dazu die Weiler Waidenhofen und Reute. Ein besonderes Anliegen für die Übergabe der Kapelle St. Christina an das Kloster Weißenau war, wie es in der eingangs dargestellten Urkunde heißt, den Nonnen des Klosters Maisental (heutiges Mariatal), die überaus anstrengenden und niederen Handdienste zu ersparen. Offensichtlich mußten die Nonnen des dem Kloster Weißenau angeschlossenen Frauenkonvents u.a. die Gewänder der Mönche waschen.

"Schon im November 1199 vollzog Papst Innozenz III. die Inkorporation (Einverleibung) der Kirche in das Weißenauer Klostervermögen, und der Konstanzer Bischof Diethelm von Krenkingen räumte, als er die Schenkung im folgenden Jahr gleichfalls bestätigte, ein, daß die Pfarrei mit Kanonikern aus Weißenau als Pfarrvikaren besetzt werden dürfe. Er hielt dies ... in Anbetracht der räumlichen Nähe für angemessen" (Wieland). Dies wurde 1215 von Bischof Conrad von Konstanz nochmals bestätigt.

Im Jahre 1253 wurde "die Kirche in St. Christina, welche, durch Feuer und Alter zerstört, zusammenfiel, wieder frisch aufgebaut und vom Bischof Eberhard zu Ehren ... der heiligen Christina und aller Heiligen wieder eingeweiht" (Rief). Für die weitere Geschichte von St. Christina ist das Jahr 1385 von Interesse. Damals erlebte Ravensburg durch Handel eine Blütezeit. Die Stadt wurde nach Westen erweitert und mit einer neuen Stadtmauer umschlossen. Die Bewohner der 60 Häuser in der neuen Unterstadt, die bisher nach St. Christina eingepfarrt gewesen waren - der Flattbach bildete die Grenze zu dem von Weingarten abhängigen Pfarrbezirk Liebfrauen - konnten "nicht 'ohne Beschwerde bei Regen, Winterszeit und Feindesüberfall' ihre Kirche besuchen. Auch die Stadt selbst wollte nicht von einer Pfarrkirche außerhalb des eigenen Gebiets abhängig sein. So entschlossen sich die Stadt und der Abt von Weißenau mit Zustimmung des Pfarrvikars von St. Christina, in der Unterstadt eine eigene Kirche zu bauen" (Tüchle). Sie wurde den Heiligen Jodok, Christina und Katharina geweiht und war eine Tochterkirche von St. Christina, also nicht dem Kloster Weißenau inkorporiert. "Die neuen kirchlichen Verhältnisse spielten sich ohne Schwierigkeiten ein, zumal der Vikar von St. Christina, der Stiftsherr Heinrich von Kipfenberg, bald darauf Abt von Weißenau wurde" (Tüchle).

Seitdem war St. Christina nicht mehr für die Ravensburger Stadtbevölkerung zuständig. In der "Beschreibung der katholischen Pfarrstelle Sancta Christina, Oberamts- und Dekanats Ravensburg 1908" ist vom "Dörfchen St. Christina" die Rede. Gleichwohl besaßen die Bewohner der Höfe Hochweiher und Molldiete, von Schornreute und Meschenreute das Bürgerrecht der Stadt Ravensburg ebenso wie die aus dem Dorf Hinzistobel, das bis 1474 zur Pfarrei Obereschach gehört hat. Für Emmelweiler, Ittenbeuren, Knollengraben war die Pfarrei Grünkraut zuständig, für die Weiler Friedach, Gullen, Ritteln aber die Pfarre St. Christina. Das änderte sich erst in neuerer Zeit.

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